Ein Versteckspiel in rostroten Steinen. Viel treffender kann man diese Laune der Natur wohl nicht beschreiben. Ausgeglüht von der Sonne, deren Hitze bewahrend und in die Nacht hinübernehmend ist keine Abkühlung zu erwarten, bis das Wasser kommt, welches die Schlucht formt, ihr immer neue Gestalt gibt. Es kommt schnell, ein Gewitter weiter oben am Berg reicht aus. Heute kommt es nicht.

Eva konnte ich nicht überzeugen, den hike bis in den Slot Canyon mit mir zu wiederholen, so wie 2001. Wir wissen beide noch, dass sie auf dem Rückweg in sengender Sonne am letzen Anstieg „sterben“ wollte. Wir hatten viel zu wenig oder vielleicht überhaupt kein Wasser mitgenommen. Ich stieg allein nach oben, holte Wasser und kam wieder zurück. Damals waren wir ganz allein hier, Beschilderungen gab es nicht, zumindest können wir uns an keine erinnern. Wir hatten ein kleines Stück Papier, welches man euphemistisch als Karte beschreiben könnte. Entfernungsangaben fehlten. Wir fanden den Peek-A-Boo-Canyon trotzdem und waren ein Weile drinnen. Ich erinnere mich noch an Fotos, die wir drinnen gemacht haben.

Heute nun werde ich diese Fotos nicht wiederholen können, da ich allein unterwegs bin. Aus dem einfachen Zaun am Beginn des Weges, an dem man damals besser Pferde festbinden konnte als ein Auto abstellen, ist heute der übliche Parkplatz zu Beginn fast jeden Trailheads geworden, mit Informationen zum Gelände, Ermahnungen zur Mitnahme von Wasser, Warnungen vor Springfluten, Entfernungsangaben und eine Registrierungsbox, in die sich jeder Wanderer einträgt. Ich erkenne an meiner Position in der Liste, dass ich heute keinesfalls allein sein werde.

Mit Eva überschlage ich kurz: 1,4 Meilen bis runter, ca. 1 Meile unten durch den Gulch bis zum Canyon, ein bisschen Zeit im Canyon und wieder rauf.

Ich rechne mit dir in zwei Stunden.

Heute vormittag hatte ich aus Evas elektronischer Konserve einen Song von Ina Müller gehört. Sie sang davon, dass mit 50 es nicht mehr darum geht schneller, höher oder weiter zu kommen als gestern, dass keine Preise mehr errungen werden, dass alles nur noch Verschleiß sei. Mal sehen…

…den Berg bin ich schnell herunter, durch den Gulch bin ich auch schnell und stehe plötzlich vor dem Canyon und bin etwas erschrocken, wie hoch der Einstieg ist. Das hatte ich komplett vergessen. Zwei Wanderer vor mir kapitulieren und wählen den 1,7 Meilen langen Weg außen herum, das kommt für mich nicht in Frage. Ich steige ein, komme ganz gut hoch und denke nicht weiter darüber nach, dass andere Seile mithaben. Ich steige weiter durch den Canyon und mache Bilder. Allein bin ich nie, durch die Wahl der passenden Perspektive sieht es aber so aus. Auf ein Stativ und das große Fotogepäck hatte ich verzichtet, einen richtigen Fotoapparat wollte ich aber dabeihaben, nicht nur das Smartphone, auch wenn mit diesem immer wieder brauchbare Bilder entstehen, wie auch hier im Blog zu sehen ist.

Irgendwann, ich habe eine Dreiviertelstunde verplempert, bin ich hinten nahe dem Ausgang angekommen und wähle den Rückweg durch den Canyon. Auf zusätzliche 1,7 Meilen in praller Sonne habe ich keine Lust. Ziemlich verdutzt sehen mich einige der nach mir Kommenden an. Am Ausstieg bezweifeln vier Wanderer:innen den Erfolg meines Unterfangens. Ihre Guide meinte nur:

With his long legs this is possible.

Richtig, ist es auch, manchmal hat Körperlänge auch Vorteile. Für den Rückweg brauche ich knapp 30 Minuten. Die Fotos vom Weg mache ich allesamt erst jetzt. Evas Gedächtnisanstieg ist jetzt als Video verewigt. Letztendlich bin ich froh, dass Eva nicht mit war, die hätte sich am Einstieg geärgert. Nach genau eineinhalb Stunden bin ich zurück. Sechseinhalb Kilometer, 128 Meter Höhenunterschied; der Verschleiß hält sich in Grenzen. Ich bin froh, dass ich nochmal hier war, auch wenn die Mystik des Unbekannten nicht mehr fühlbar war.

Jens

Er fotografiert und gelegentlich schreibt er auch.