Zuerst müssen wir in den nächsten Ort, nach Mallaig, um einzukaufen. Wir parken direkt am Meer und sehen bis nach Skye hinüber und können sogar nochmals erahnen, warum es die Insel des Himmels ist. Solche geflügelten Parkwächter wie hier sehen wir in Schottland selten. Nicht, weil es keine Seevögel gibt, sondern weil sich diese viel lieber in ihren Kolonien in den Klippen aufhalten.

Und jetzt?

Es gibt Momente im Urlaub, da entwickelt man schon seltsame Verhaltensweisen. Heute wollen wir auf einen Zug warten, aber nicht, um mit diesem zu fahren, sondern nur, um diesen zu sehen. Das mag ja für Eisenbahnjunkies, Dampflokfans oder Trainhunters ein schöner Zeitvertreib sein, aber für uns?

Zugegeben, an beliebiger Stelle würden wir dies nicht tun, am Glenfinnan Viaduct aber schon. Dieses Viadukt kennt wohl fast jeder, oben aufgezählte Experten schon aufgrund seiner Architektur, Schottlandreisende vielleicht wegen der Lage und dem landschaftlichen Ambiente. Alle anderen, und das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit die Mehrheit, kennen diese Brücke und den Zug, der auf Bahnsteig 93/4 abfährt, aus Harald Töpfers Biografie.

Eine Besichtigung hier will gut geplant sein. Fahrpläne werden konsultiert, Parkmöglichkeiten ausgekundschaftet und im Rahmen der Möglichkeiten passendes Wetter abgewartet. Den Fahrplan ohne Ablesen zu rezitieren, ist nicht so aufwendig, schließlich fährt der Zug nur zweimal im Schuljahr – zu Beginn desselben nach Hogwarts, am Ende des Schuljahres in entgegengesetzter Richtung. Sorry, ich bin gerade falsch abgebogen: Er fährt zweimal am Tag in jede Richtung, einmal mit Morning Service und einmal mit Afternoon Service, immer zwischen Fort Williams und Mallaig. Die Tickets werden nur Two Way verkauft, als Transportmittel ist der Zug gar nicht mehr gedacht, es ist eine Touristenattraktion. Eine kurze Recherche heute ergab, dass wir Ende des Monats eventuell noch zwei Tickets hätten bekommen können. Aber das wollten wir gar nicht, da können wir ja diesen Blick heute nicht einfangen. Beim Stöbern nach den Tickets stolperte Eva noch über eine weitere schottische Eisenbahnerfahrung: Eine Fahrt über fast alle der historischen Bahntrassen, mit viel Hin- und Herrangieren auf den ganzen Strecken mit Dead End, über 8 Tage im privaten Schlafabteil, mit Full Service. Lange mussten wir auf der Webseite scrollen, um bis zum Preisschild zu gelangen und mussten zweimal hinsehen: ca. £17.500! Für eine Person! Das ist absurd, relativiert sich aber, wenn man zu zweit fahren möchte. Die Tickets bekäme man dann für schlappe 35.000 Britische Pfund 😂

Gut das wir uns auf das Gucken beschränken. Das ist kostenlos. Wir sparen sogar die Gebühr auf dem Parkplatz, dieser wäre sowieso überfüllt. Wir parken schon vorher auf einem Parkplatz am Straßenrand einige Kilometer vor Glenfinnan. Den Platz nebst einiger weiterer Alternativen hatten wir uns gestern schon vorgemerkt. Von dort nahmen wir die Fahrräder den Berg hinunter, bogen auf den überfüllten Parkplatz ein, fuhren weiter auf dem breiten Wanderweg, der eher einer Pilgerstraße entspricht, direkt bis unter das Viadukt. Ich glaube, ein paar durchaus neidische Blicke sind auf uns gerichtet. Nur das letzte Stück steil berghoch müssen wir noch laufen um an den Aussichtspunkt zu kommen. Die exakte Position können wir nicht verfehlen, da sitzen schon sehr viele Menschen, die wohl exakt das gleiche wollen wie wir. Wir setzen uns dazu und warten…knapp 30 Minuten, dann soll der Zug kommen. Er kommt aber nicht!

Vielleicht ist das ganze hier derart touristisch ausgearbeitet, das zum Justieren der Fotoapparate erst noch der normale Linienzug vorbeikommt. Eine kleine Ewigkeit später kommt in der Gegenrichtung noch ein Zug und hält sogar auf der Brücke. Dies ist der oben beschriebe Luxus-Zug. Klar, für einen fünfstelligen Betrag kann der Zug auch mal hier halten. Sicherheitshalber fotografiert jeder auch diesen Zug. Wer weiß schon, ob das Objekt der Begierde denn überhaupt noch kommen wird. Die planmäßige Überfahrt über das Viadukt liegt längst in der Vergangenheit. Uns beschleicht das Gefühl, wer wohl der Betreiber des Zuges sein könnte…uns gehen immer wieder zwei Buchstaben durch den Kopf: Ein großes „D“ und ein „B“.

Oder aber, es ist vielleicht die Betriebserlaubnis erloschen? Auch das passierte erst unlängst im Frühjahr, die schon verkauften Tickets verloren alle ihre Gültigkeit und mussten neu erworben werden. Seitdem fährt der Zug in kürzerer Wagenreihung, vielleicht auch der Brücke wegen. Diese macht genauer betrachtet nicht mehr den allerbesten Eindruck. Im Fahrplan, den wir jetzt doch nochmal konsultieren, finden wir eine kleine Fußnote, dass sich samstags die Zeiten leicht nach hinten verschieben können, warum auch immer. Und als wir so darüber schmunzeln, hören wir in der Ferne das charakteristische Pfeifen einer Dampfmaschine auf Rädern. Wenige Minuten später passiert es dann, unsere Hintern haben inzwischen schon das Relief des Hanges dauerhaft gespeichert. Nach etwa einer Stunde Wartezeit, bei überdurchschnittlich schönem Wetter, können wir dann das sehen, filmen und fotografieren, weswegen wir hier sind: Der Zug nach Hogwarts fährt vorbei, die Dampflok pfeift auch extra für uns und alle noch hier Zusehenden. Eine schöne weiße Wolke will aber nicht über dem schwarzen Gefährt erscheinen, nur eine dünne graue Fahne. Dementoren tauchen zum Glück nicht auf.

Am Ende jubeln alle, die hier sitzen und machen sich quasi gleichzeitig auf den Weg nach unten. Wir reihen uns ein, aber nur ein kurzes Stück. Dann steigen wir auf unsere Fahrräder, vereinzelte neidische Blicke folgen uns.

Inzwischen sind wir wieder ein gutes Stück weiter auf Single track roads entlang der Küste gefahren. Unser Ziel sollte Corrachadh Mòr sein, der westlichste Punkt des „Festlandes“. Da kommt uns aber ein Aussichtspunkt über die Bay of the Pledges dazwischen. Hier stehen wir schön gerade, mit toller Aussicht. Wir drehen die Vordersitze im Fahrzeug herum und holen die Klappstühle aus der Garage raus. Hinter der Bucht sehen wir die Fähre, die wir morgen nehmen wollen.

Update

Apropos Verspätung: Da sind wir jetzt über drei Wochen in Schottland unterwegs. Und nun plötzlich zeigt sich der schottische Abendhimmel in seiner ganzen Pracht, ziemlich spät! So schön ist der Himmel, da kann ich auch mal über die Wolke hinwegsehen, die sich langsam über den Berg vor uns schiebt. Im Gegenteil, sie lässt den Berg, der eigentlich ein Vulkan ist, wenn auch längst erloschen, noch ein bisschen mehr wie einen solchen wirken. Eva meinte vorhin schon, dass dies vielleicht der schönste Platz ist, auf dem wir bisher standen. Fasst bin ich geneigt, ihr da zuzustimmen, wenn ich auch bemängeln muss, dass jetzt, wo der Himmel so schön farbig ist, gerade keine Fähre den Sund unter uns quert. Vorhin wurde sie noch so schön von der Sonne beleuchtet. Irgendwas ist halt immer 🥲

Jens

Er fotografiert und gelegentlich schreibt er auch.