Die letzte Nacht war für sich genommen immer noch ziemlich warm, verglichen mit jener davor und vor allem mit den zwei Tagen zwischen diesen Nächten relativ kühl. Jedenfalls konnten wir gut schlafen. Eva frage mich auch nur zweimal nach der Uhrzeit. Die zweite Information zur aktuellen Pazifischen Sommerzeit, es war kurz vor 6 Uhr, reichte dann auch für den Beschluss aufzustehen. Eva ging duschen und ich begann mit der Zubereitung des Frühstücks. Während desselben erschien dann auch unser nächstgelegener Stern am Himmel.

Erstmalig in diesem Urlaub entluden wir dann auch unser Grauwasser, Frischwasser befüllten wir zum zweiten Mal. Die Ausstattung des Fahrzeug bzw. von roadsurfer lässt, relativ zu dem, was wir von Fraserway gewohnt sind, zu wünschen übrig. Am Wasserschlauch z.B. fehlte eine Dichtung, sodass der Großteil des Trinkwassers nicht unseren Tank erreichte. Ich bastelte mit Eva eine Ersatzdichtung aus Isolierband, das funktionierte ganz gut. Es ist schon hilfreich, wenn ein paar MacGyver-Fertigkeiten mit unterwegs sind.

In Oakhurst füllten wir noch ein wenig unsere Vorräte auf. Der Vergleich zwischen dem Betrag auf der Quittung und dem Inhalt des Einkaufswagens zeigte ein relativ ungünstigstes Verhältnis. Wir erinnerten uns mal wieder an unseren ersten gemeinsamen Amerika-Urlaub zu Pfingsten 1995. Da hatten wir ein Tagesbudget von umgerechnet 80 DM, das hätten wir nach diesem Einkauf mehr als aufgebraucht. Zugegeben wäre uns damals nicht im Traum eingefallen, Wein und Cider zu kaufen, trotzdem meinen wir, dass es auch hier ziemlich teuer geworden ist. Auch eine vielleicht relativ geringe Inflation macht in 29 Jahren relativ viel aus. Wir klagen nicht, verdienen wir doch auch relativ viel mehr, als es 1995 der Fall war.

Bis in den Yosemite National Park ist es ein relativ kurzer Weg von vielleicht 15 Meilen. Wir staunen und lachen ein wenig, als wir auf der Zufahrtsstraße ein Hinweisschild sehen: „Ab hier 1 Stunde Wartezeit für den Parkeingang“. Kurze Zeit später bremsen wir am Hinweisschild für die 30 Minuten Wartezeit. Das war bei unserem letzten Besuch hier 2001 noch anders. Außerdem lesen wir, dass nur eingelassen wird, wer eine gültige Reservierung vorweisen kann. Ein Glück hatten wir gestern eine Camping Site gebucht. Spontanität wie früher hätte uns heute nicht weiter gebracht.

Gleich nach dem erfolgreichen Eintritt bogen wir rechts ab in den Mariposa Grove. Wir wollten weitere Mammutbäume sehen. Wir erinnerten uns, dass wir hier 1995 lang fuhren, relativ scharf um eine Kurve um einen Felsvorsprung fuhren und mehr oder weniger direkt vor zwei riesigen Bäumen standen. Das waren die ersten echten Mammutbäume, die wir in unserem Leben sehen durften. Ich hatte zwar schon zwei Jahre vorher mit Freunden im Yosemite Valley welche gesehen, damals dachten wir noch: Schön, reicht aber, den relativ langen Abstecher zum Mariposa Grove sparen wir ein. Was für ein Fehler damals, den zumindest ich zwei Jahre später zusammen mit Eva korrigieren durfte. 

Eine Fahrt mit dem eigenen Auto bis in den Grove ist heute nicht mehr möglich. Dafür gibt es ein Welcome Center weiter vorn. Von dort fährt der Yosemite Shuttle den ganzen Tag die Besucher zum Grove und holt sie auch wieder ab. Wie immer in U.S.-Nationalparks super organisiert. Im Bus hören wir neben uns genau die gleichen Aaahs und Oooohs an den zwei Bäumen, die auch wir damals von uns gaben.

Am Grove angekommen, wir sind früh am Morgen und somit hält sich der Besucherandrang noch sehr in Grenzen, wartet für mich eine relativ kleine Wanderung, für Eva eine relativ lange. Um hier Missverständnisse auszuräumen: es wird die gleiche Wanderung, alles ist relativ. Wir machten uns also zusammen auf den Weg zum Grizzly Giant, den Riesen von Yosemite. Als wir den Hain mit seinen jüngeren Brüdern und Schwestern durchquert hatten und den Hang erklommen, sahen wir ihn hinter der Felskuppe. Er schien uns zuzurufen: „Ihr schon wieder! Ihr wart doch erst kürzlich hier.“ Na ja, für uns sind es 29einhalb Jahre, ein längerer Zeitraum als unsere Ehe, mehr als die Hälfte unseres nicht mehr sooo jungen Lebens, für ihn, den mit 2.900 Jahren ältesten Mammutbaum der Welt, mag es gestern gewesen sein. Unwillkürlich muss ich aber an die schottische Eibe denken, die wir im Sommer besuchten: Diese war schon 2.100 Jahre alt, als der Samen, aus dem einst der Grizzly Giant erwachsen würde, nach einem Waldbrand zu Boden fiel, keimte und auf dem Felsplateau günstige Bedingungen für sein Wachstum fand.

2.900 Jahre später sitzen wir unter ihm und staunen genauso wie beim letzten Mal, schauen nach oben und erinnern uns wieder daran, wie absurd das aussieht, dass ein etwa 30 Meter hoher Baum mit dem Stammumfang mehrerer Meter in etwa 50 Meter Höhe auf einem Ast zu stehen scheint, der, selbst noch dicker, fast waagerecht aus dem Stamm des Baumes wächst. Mehrere solcher Äste können wir wiederkennen, jeder von ihnen wäre als einzelner Baum bei uns schon längst für sein Holz gefällt worden.

Nach einer Weile überlassen wir den Grizzly Giant wieder den anderen Besuchern und machen uns auf den Rückweg auf dem Loop Trail. Die Schäden des großen Brandes von 2022 sind auch hier im Hain nicht zu übersehen. Die großen Sequoias wiederstehen Bränden, solange ihre Kronen nicht vom Feuer erreicht werden, ja, brauchen diese Brände sogar, damit sich die Zapfen öffnen und der Samen herausfällt. Für andere Bäume wie Pinien und Douglasien, die für sich genommen hier auch relativ groß sind, neben den Mammutbäumen aber immer relativ klein und zierlich wirken, hatten die Feuer aber teils verheerende Wirkung. Wir erinnern uns, dass wir früher hier fast durchgängig im Schatten der Bäume wanderten, heute brennt die Sonne auf unsere Köpfe. Ganz nebenbei bemerkt, bin ich ziemlich stolz auf Eva und besonders auf ihr Knie, dass wir die Wanderung gemeinsam machen können. Als wir vor einem Jahr anfingen, diese Reise und die damit verbundenen Aktivitäten zu planen, mussten wir davon ausgehen, dass solche Wanderungen nicht oder nur von mir hätten gemacht werden können. Umso schöner, dass ich jetzt nicht allein unterwegs oder gar nicht hier unterwegs bin und wir unsere Erinnerungen an diese Mammutbäume gemeinsam auffrischen können.

Das nächste Ziel im Nationalpark ist für uns Glacier Point, ein Aussichtspunkt an der südlichen Steilwand über dem Yosemite Valley mit Blick in dasselbe mit dem berühmten Half Dome gegenüber. Wir sind uns nicht ganz sicher, ob wir hier schon mal waren. Die exponierte Lage über dem Tal lässt mich aber davon ausgehen, dass wir uns das auch damals nicht haben entgehen lassen.

Nach ausreichend gucken über die Berge und in das Tal machen wir uns auf zum berühmten Tunnel View. Soll sich doch von dort einer der schönsten Blicke zum Sonnenuntergang in das Tal ergeben. Da müssen wir zeitig vor Ort sein, weil die Parkmöglichkeiten begrenzt sind. Wir nehmen unseren Platz in der ersten Reihe relativ zeitig ein, es sind noch 3 Stunden Zeit bis sunset . Immer wieder werden wir von vorbeikommenden Touristen befragt, worauf wir warten würden und erklären uns mehrmals wahrheitsgemäß. Dabei sind wir keinesfalls die einzigen, die das so handhaben. Am Ende ist der Aussichtspunkt relativ voll, auch wenn wir uns vorstellen können, dass in der Hochsaison ein Vielfaches mehr an Touristen hier stehen oder sitzen würde.

Die untergehende Sonne zauberte die ein oder andere Farbnuance in die Felsen, die hinter uns aufziehenden Wolken sorgten immer wieder für Licht und Schatten. Irgendwann hatten die Wolken aber den Lichtspielen auf Half Dome und El Capitan ein Ende bereitet, wir verließen den Ort und drehten noch eine Runde durch das Tal. Die Straßen dort sind alle ohne Gegenverkehr geführt, die Runde ergibt sich also von selbst. Noch einmal hielten wir, beobachteten das Licht- und Farbenspiel auf den Felswänden und begaben und dann – relativ spät – wieder nach oben in die Berge. Als unseren Schlafplatz hatten wir Site 003 in der Wohnung der Stachelschweine in etwa 2.600 Meter Höhe gewählt. Im Stockdunkeln kamen wir an, bezogen unsere reservierte Site, entfachten das Feuer, und verbrachten noch etwa eineinhalb Stunden an diesem, bis unsere Kartoffeln in der Glut durchgegart waren. Inzwischen war es relativ kalt geworden. Genau das war der Grund, weshalb wir den Porcupine Flat Campground wählten. Die Hecktür unseres Campers ließen wir diese Nacht geschlossen, denn für uns zwei und Meister Petz wäre kein Platz im schmalen Doppelbett. Wir wohnen im Bärengebiet, die Stachelschweine teilen sich ihre Wohnung mit ihnen.

Jens

Er fotografiert und manchmal schreibt er auch.