Schon mehr als einmal haben wir die Alpen überquert, um von Deutschland nach Italien zu gelangen. Am häufigsten nutzen wir dazu den Brennerpass, selten die Routen über Osttirol, noch seltener jene über die Schweiz. Die alte Römerstraße von der Po-Ebene bis zur Donau bzw. umgekehrt nutzten wir dafür noch nie in Gänze, obwohl wir die dazugehörigen Alpenpässe fast alle schon mehrfach befahren haben.

Aber beginnen wir gestern: Die nachmittägliche Abfahrt können wir als pünktlich bezeichnen, schlimme Staus bremsten uns nicht, wir erreichten über die A9 Nürnberg, bogen nach Westen auf die A6, nur um in Schwabach von dieser gleich wieder abzubiegen und die direkte Route nach Augsburg zu nehmen. Wir waren uns ziemlich sicher, dort noch nie langgefahren zu sein. In Donauwörth erinnerte ich mich aber, hier mal ein Rechenzentrum in der Nähe von airbus helicopters migriert zu haben, da werde ich wohl auch hier langgefahren sein.

Zwischen Donauwörth und Augsburg, der Mond hatte längst die Beleuchtung der Umgebung übernommen, hatten wir uns eine Ladesäule gesucht. Als wir so im Auto saßen und noch ein bisschen Restarbeiten erledigten, die vor dem Urlaub nicht mehr fertig geworden waren, machte sich ein junges Pärchen neben unserem Auto bemerkbar. Sie wollten in einem Motel gleich nebenan übernachten. Dort war zwar ein Zimmer frei, jedoch war das ganze Motel unbesetzt, eine Buchung ging nur online, die beiden hatten aber nur Bargeld. Also fragten sie mich, ob ich für sie buchen könnte und sie würden mir das Geld in bar geben. So machten wir das dann, nicht ohne ein schlechtes Gewissen meinerseits, weil ich ihnen als notorischer Bargeldnichtbesitzer nicht würde wechseln können. Den Zugangscode hatten sie bekommen, ihr Bargeld hatte ich und wir diskutierten noch ein bisschen darüber, wer jetzt wohl wegen fehlender Wechselmöglichkeiten Miese machen solle, sie oder ich. Ich war der Klügere und gab nach. Wenigstens hatte ich noch eine gute Tat vollbracht und die beiden hatten ein vernünftiges Zimmer für die Nacht.

Unsere Batterie war inzwischen wieder voll, wir würden bis zu unserer ersten Unterkunft kommen. Die Donau querten wir noch in Augsburg, in Landsberg am Lech hatten wir unser Ziel für gestern erreicht. Es fühlte sich ein wenig wie Mitternacht an, war es aber nicht, es ist halt Herbst.


Am Morgen ist es kalt, aber keine Wolke trübt den blauen Himmel. Das Allgäu zeigt sich postkartenreif – um nicht kitschig zu schreiben. Obwohl Feiertag ist, haben alle Kühe Dienst. Das ist alles sehr schön, da müsste man eigentlich gar nicht weiter fahren, wir machen es trotzdem.

Am Fuße Neuschwansteins laden wir die Batterie noch einmal auf, weil heute das Experiment beginnen soll, wie sich unser Elektroauto auf den Alpenpässen hinsichtlich des Energieverbrauchs verhält. Kurz nach den Laden beginnen wir mit Energiesparen und stellen uns hinter Füssen in den Stau durch die Zugspitzarena, wie die Ebene des Wettersteingebirges tourististisch wirksamer benannt wird. Wir sind heute nicht die Einzigen, die unterwegs sind. Den Plan zum Plansee (das Wortspiel konnte ich nicht verhindern) verwerfen wir angesichts der Autoschlangen und fahren direkt weiter Richtung Inntal.

Am Zugspitzblick am Fernpass halten wir. Für diese Aussicht haben wir hier tatsächlich noch nie gestoppt. Wir können nach Norden über die Ebene bis zur Zugspitze sehen. Dabei stört keine einzige Straße und damit auch kein Auto das Panorama, nur eine Stromtrasse und eine Seilbahn erblicken wir, ansonsten sehen wir nur Wald und frisch gepuderte Bergspitzen. Das sind fast schon kanadische Verhältnisse. Da man das Panorama so wirklich gut nur von der Terrasse der Wirtschaft sehen kann, macht diese noch ein bisschen Umsatz mit uns. Es ist keine gehobene Küche, die Preise halten sich angesichts der Lage aber durchaus noch in Grenzen.

Weiter gehts zum Inn hinunter, die Vignette sparen wir uns, nehmen die Straße bis Landeck, fahren drumherum und biegen nach Süden Richtung Reschensee ab. Obwohl wir genau auf der Via Claudia Augusta unterwegs sind, sehen wir keinen einzigen Römer, bzw. wissen wir es nicht genau. Denn wenn wir einen sehen würden, wäre er für uns heute ein Italiener.

Den obligatorischen Halt gibt es in Altgraun am Kirchturm, dieses Jahr schon zum zweiten Mal. Im Gegensatz zum letzen Mail im Mai sieht es heute unter blauen Himmel aber viel schöner aus. Zudem hat der Reschensee genügend Wasser und der Kirchturm ragt aus dem See heraus. Im Mai, bei sehr niedrigen Wasserstand, sahen wir die künstliche Lagune und deren Damm zum See.

Mit Erreichen des Reschensees sind wir nicht nur in Italien, sondern auch in Südtirol und noch spezifischer im Vinschgau. Das erkennen wir sofort am Straßenrand. Überall wird die Ernte feilgeboten, hautpsächlich sind es Äpfel. Wir verlassen das Vinschgau aber gleich wieder und biegen in südwestlicher Richtung ins Münstertal in die Schweiz ab, nur um dort den Umbrailpass zu erklimmen und in über 2.500 Meter Höhe das Veltlin, wieder in Italien, zu erreichen. Zur Blütezeit der Römer war das alles ein Imperium, danach im dunklen Mittelalter, waren die einzelnen Täler und Landstriche kaum in Kontakt. Erhalten geblieben sind uns davon heute die vielen Länder und Grenzen, die wir hier immer wieder queren, ohne dass dies ein Problem ist. Wo gibt es dies noch einmal auf der Welt, so wie hier in Europa, wo wir auf einer 200-Kilometer-Tour durch die Berge 4 Länder besuchen und noch viel häufiger Grenzen queren? Nirgends, das gibt es nur hier. Möge es uns für immer erhalten bleiben!

Am höchsten Punkt des Umbrailpasses erreichen wir wieder Italien. Wir sind in der Lombardei, im Veltlin. Kurz aber biegen wir nochmal nach Osten ab und erklimmen die 250 Höhenmeter bis zum Stilfser Joch. Hier oben, so hoffe ich, hat Ernstl noch seine Bratwurstbude auf. Dort gibt es einen Vinschgauer, gefüllt mit Sauerkraut und einer frisch gegrillten Meeraner Wurst. Das ist die lokale Burgervariante des Vinschgaus, hätte dies Verbreitung in der Welt gefunden, wäre es nie zu McDonalds oder Burger King gekommen. Dafür lohnt sich der Abstecher hier hinauf, wie ich dem Ernstl versichere, bevor er seinen Laden für heute schließt – Glück gehabt.

Da dies nun der höchste Punkt des Tages und vermutlich sogar des ganzen Urlaubs ist, lohnt es sich mal ein paar Worte darüber zu verlieren, wie sich das nun so mit einem E-Auto anfühlt. Der Verbrauch, der im täglichen Nutzverhalten bei etwa 19 kWh/100 Kilometer liegt, steigert sich auf der Autobahn, noch dazu mit Fahrrädern hinten dran, auf etwa 22-23 kWh/100km. Am Stilfser Joch oben angekommen sind es über 30 kWh/100km. Dabei könnte man noch viel mehr verbrauchen, wenn man das zur Verfügung stehende Drehmoment wirklich abrufen würde. Es wäre mir heute ein Leichtes gewesen, jedes Motorrad abzuhängen, will ich aber gar nicht. Auf dem Weg nach unten nach Bormio im Veltlin sind es fast 1.500 Höhenmeter. Das Fahrzeug rollt nur und rekuperiert. Am Ende des Tages werden wir nur 16 kWh/100km im Durchschnitt verbraucht haben. Das ist weniger als zu Hause. Den höheren Energiebedarf bei dem Bergauffahrten bekommen wir bergab wieder zurück. Da wir eher langsam unterwegs sind, spielt der erhöhte Luftwiderstand durch die Fahrräder keine Rolle.

In Bormio erreichen wir unser Tagesziel. Das alte römische Bad werden wir nicht nutzen müssen, da dankeńswerterweise das Hotel die Idee hatte, Duschen in jedes Zimmer zu bauen. Super Idee!

Umbrailpass
Stilfser Joch

Jens

Er fotografiert und manchmal schreibt er auch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert