Alle, die schon die eine oder andere Reise hier verfolgt haben, werden es wissen: Irgendwann muss er kommen, der Ausblick, das Motiv, das anderes überragt. Für mich ist dann meist der schönste Moment des Urlaubs. Gestern war so ein Morgen, der hinsichtlich des Motivs „Moraine Lake“ alle Voraussetzungen mitbrächte, würden die Rahmenbedingungen stimmen. Ich teile wirklich gern, aber da bin ich egoistisch. Solche besonderen Destinationen und Momente teile ich am liebsten nur mit meiner Frau. Für alle anderen sollen die Bilder reichen.

Möglichkeiten dafür gibt es hier in den Rockies eigentlich viele, wenn das Wetter passt, und derzeit passt es wirklich. Da hatten wir bei den Vorbuchungsorgien wohl immer das Richtige angekreuzt 😉 Einen besonderen Kandidaten hatte ich im Vorfeld schon ausgewählt. Am Bow Pass, dem höchstgelegenen Pass auf dem Icefields Parkway gibt es einen Aussichtspunkt, nicht all zu weit zu laufen, so dass er auch für Eva erreichbar ist, mit Blick auf einen der Gletscherseen, der beim richtigen Licht smaragdgrün leuchtet und bei Windstille die umliegenden Berge spiegelt. Da in Alberta alle Sehenswürdigkeiten der Rockies an der Ostflanke der Berge liegen, ist der Anfang des Tages die bevorzugte Zeit, so auch am Peyto Lake.

Den normalen Viewpoint findet man leicht, der Weg ist gut ausgeschildert, sogar asphaltiert. Auf den 700 Metern den Berg hinauf denkt man mit jedem Schritt zu altern, da er immer steiler wird. Oben angekommen endet der Weg auf einer großen Holzterrasse mit einem berauschenden Blick auf den See, die Berge und die Wälder. Für sich genommen würde dieser Anblick schon reichen. Ich hatte aber das Problem, dass ich in der dieses Mal sehr kurzen Vorbereitung auf ein paar besondere Motive von einem versteckten, noch viel schönerem Aussichtspunkt las. Dorthin sollte an „dem Baum“ ein kleiner Wanderweg abgehen, welchem man am Hang entlang eine Weile folgen sollte um dann auf einen Felsen heraustreten zu können unter welchem der See fast in seiner gesamten Ausdehnung zu sehen sei. Blöd nur, dass die Beschreibung „an dem Baum“ mit Weg dahinter in einem Wald für viele Objekte zu trifft. Das hielt ich für einen dunklen Morgen vor Sonnenaufgang für ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen. Also machten wir, wie von Eva schon angedeutet, noch gestern Abend einen ersten Abstecher zum scouting zum Peyto Lake. Ich alterte also ersteinmal allein den steilen Weg nach oben und es nieselte ein bisschen vor sich. Als ich oben war, verzog sich die Regenwolke, Sonnenstrahlen brachen durch und versahen den See mit einem ansehnlich Licht- und Schattenspiel. Allein war ich aber nicht.

Ich suchte also auf den von hier abgehenden Wanderwegen nach „dem Baum“ und wurde, ich konnte es vor Freude kaum fassen, fündig. Als ich den Weg so den Hang entlang lief, machte ich mir so meine Gedanken, ob es im Bärengebiet wirklich sinnvoll wäre, hier allein herumzuwandern. Ich konnte diese Gedanken aber nicht weiter vertiefen, weil ich plötzlich, als ich aus dem Wald heraus trat wieder einen Blick auf den Peyto Lake werfen konnte. Die Abendsonne hatte es tatsächlich geschafft, die letzten Wolkenfetzen noch aufzulecken. Etwas weiter entfernt vernahm ich Stimmen und so verflogen meine Gedanken an Bären auch gleich wieder. Am Ziel angekommen, war ich wieder nicht allein. Hier tummelten sich zwei Hochzeitspaare mit ihren Fotografen vor dem See. Es reichte aber für ein paar schnelle Aufnahmen mit dem Handy und ich hatte die Gewissheit für den Morgen den One Billion Dollar View gefunden zu haben.

Ich kreuzte auf der Wetterbestellliste noch schnell „Windstille“ an – für die Reflektionen auf dem Wasser – und machte mich wieder zurück auf die normalen Pfade und den Berg hinunter zu Eva. Dort schwärmte ich ihr ein bissschen vom gerade Gesehenen vor und wir machten uns zusammen noch mal auf den Weg nach oben, aber nur bis zur offiziellen Aussichtsplattform. Den anderen Weg wollte ich Eva nicht zweimal zumuten, wir sind schon sehr glücklich, dass es überhaupt einmal funktioniert.

So stiegt ich den Berg zum zweiten Mal nach unten, anschließend fuhren wir zurück nach Lake Louise auf unsere Campsite. Unterwegs sannen wir Erinnerungen nach; Erinnerungen an unseren ersten Besuch hier 1995, als wir nach einem schönen Abend am Moraine Lake, damals konnte man noch einfach so hinfahren, am Lake Louise am Morgen in mannshohem Schnee aufwachten, der sich in tieferen Gefilden in einen nicht enden wollenden Regen verwandelte, der uns damals aus den kanadischen Rockies bis in die Sierra Nevada nach Kalifornien vertrieb. Den Moraine Lake kannten wir, der war schließlich auf der kanadischen 50-Dollar-Note abgebildet, vom Peyto Lake wussten wir damals noch nichts, es war noch die Präinternetära.

Inzwischen war die Nacht vorbei, der Wecker tat sein Tagwerk um 3:45 Uhr und wir machten uns wieder auf den Weg zurück zum See. Die Vorstellung, den See und die Aussicht ganz für uns zu haben, hatten wir längst verworfen, waren aber umso überraschter, als wir ganz allein auf dem Parkplatz am Trailhead standen. Sogar Zeit für einen Morgenkaffee hatten wir noch, welche Verbesserung gegenüber gestern. Oben angekommen hatten wir dann auch die Aussicht fast ganz für uns. Nur eine einzelne Fotografin stand mit ihrem Stativ etwas unter uns. Das tolerierten wir 😉


Nach einer Weile gesellten sich wenige weitere Menschen zu uns. Das war das Signal für uns, den Platz zu wechseln und hinterm „dem Baum“ den kleinen Wanderweg zu nehmen. Dort waren wir wieder allein und hofften, dass die Sonne den -1°C ein Ende bereiten würde. Trotz der Eiseskälte ein erhabenes Gefühl! Wenn sich die Leser:in manchmal fragt, wofür macht er das? Genau dafür! Das am Ende ein Bild dabei entsteht, wo auch ein Laie vielleicht erkennt, dass es wohl nicht mit dem Handy gemacht ist, ist schönes Beiwerk. Der Prozess vom Entdecken eines Motivs, der Recherche nach den Möglichkeiten, die Planung dazu und das Glücksgefühl, wenn alles passt und ich sogar jemanden bei mir habe, mit der ich diese Freude teilen kann, zumindest solange sie nicht erfroren ist 😉 , ist für mich mit wenig anderem vergleichbar. Das ist Erleben mit allen Sinnen, nicht nur ein kurzes Hinschauen und wieder vergessen. Das wird nicht jede:r verstehen und das ist auch gut so.

Und falls sich Neueinsteiger jetzt fragen, wo denn diese Bilder sind: Das braucht Zeit, Zeit nach dem Urlaub. Hier sind vorerst nur „Skizzen“ zu sehen,

Jens

Er fotografiert und manchmal schreibt er auch.

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