Heute haben wir einen festen Termin: Wir müssen 13:30 Uhr in Bastia am Fährterminal sein, spätestens eine Stunde vor Abfahrt unseres Schiffes zurück nach Livorno. Dazu müssen wir einmal die Insel diagonal von Südwesten nach Nordosten queren. Zwischen uns und dem Fährterminal liegen noch einige Pässe. In den Bergen, zumindest dort, wo Laubbäume stehen, ist richtig Herbst. Die meiste Vegetation ist jedoch Macchia, immergrün und wohlriechend. Macchia – das ist das, was wir mit Vorliebe in Pfannen und Töpfe tun, jene Pflanzen, die wir in Thymian, Rosmarin, Lavendel usw. unterscheiden.
Ich erinnere mich noch daran, wie ich 1992 das erste Mal nach Korsika kam. Da habe ich die Insel gerochen, bevor ich sie gesehen hatte. Davon schwärmte ich Eva vor und 1994 im Spätsommer war es auch noch so. Im Herbst jetzt gehört jedoch viel Phantasie dazu, die Macchia wirklich zu riechen oder aber unsere Nasen sind viel unsensibler geworden.

Überpünktlich in Bastia angekommen, unternehmen wir einen letzten erfolglosen Versuch, eine Créperie zu finden. So reihen wir uns in die Schlange der Inselflüchter ein. Die Fähre erreicht den Kai zur selben Zeit wie wir. Im Gegensatz zu unserer Ankunft vor 5 Tagen ist das Schiff heute voll, hauptsächlich sind es Wohnmobile aus Deutschland. Bei solchem Wetter wie zur Zeit kann man hier sicherlich gut mit dem Wohnmobil unterwegs sein. Es haben zwar schon viele Campingplätze geschlossen, es gibt aber schöne Stellplätze am Straßenrand. Uns aber würde es mit dem WoMo nicht hierher ziehen, wir würden dann die schönen Unterkünfte verpassen. Da wir ziemlich genau wissen, was uns ein Wohnmobil am Tag an Miete kosten würde, den erhöhten Verbrauch lassen wir dabei mal außer Acht, haben wir einen erklecklichen Betrag jeden Tag, den wir in ein Bett investieren können.

Apropos Verbrauch: Die Ladestationen sind auf Korsika nicht besonders eng gesät, Schnelllader sind extrem selten, trotzdem ist es für uns gar kein Problem. Wir konnten häufig über Nacht laden. Die Reisegeschwindigkeit und damit der Energieverbrauch ist niedrig, so dass wir locker über den Tag oder auch zwei kommen. Besonders schön ist es in den Bergen, wo wir quasi den Berg herunter alles wieder bekommen, was wir berghoch investiert haben. Mit einem Verbrenner hatten wir früher kinetische Energie hauptsächlich in Wärme verwandelt, hier landet viel davon wieder in der Batterie. Ich denke, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich jetzt schreibe, das mindestens für uns ein E-Auto auch im Urlaub praktikabel ist. Über die Unzulänglichkeiten der Abrechnungssysteme – und die ärgern mich wirklich – sehe ich dabei mal hinweg. Ich denke, die wirklich großen Probleme des Antriebs, der Energiespeicherung und des Aufladens sind gelöst. Jetzt braucht es nur noch ein einheitliches Abrechnungssystem. Warum muss ich mich mit der Ladesäule auseinandersetzen, wenn es doch das Fahrzeug sowieso tut? Ich vertraue dem Fahrzeug mein Gepäck an, mein Vorankommen, meine Sicherheit und noch einiges mehr. Da kann doch die Karre auch die Abrechnung des Ladestroms übernehmen, warum sollte ich das machen müssen? Ein gewisser Elon Musk, dessen Ansichten ich bestimmt nicht teile und sogar für gefährlich und antidemokratisch halte, hatte das sehr zeitig erkannt, wir hingegen mit unseren Strukturen aus dem letzten Jahrtausend sind in alten Denkmustern gefangen und begreifen gar nicht das Potential, das vor uns liegt oder begründen die eintausendunderste Insellösung mit Marktoffenheit oder was auch immer. Warum muss ich erst einen Vertrag mit einem Stromlieferanten abschließen, wenn ich doch nur eine Batterie laden will? Ich habe bisher auch keinen Liefervertrag mit einem Mineralölkonzern, sondern schließe einen Vertrag jedes Mal implizit neu, an jeder Tanksäule, die ich benutze. Dabei nutze ich immer das gleiche Zahlungsmittel. Warum geht das nicht an einer Ladesäule? Wenigstens das, wenn mein erster Wunsch zu utopisch erscheint.

Während ich in diese Zeilen schreibe, haben wir das Tyrhennische Meer fast schon überquert. Korsika können wir schon lang nicht mehr sehen, auf der rechten Seite des Schiffes sehen wir Elba, auf der linken Capri. Die Sonne versinkt übrigens tatsächlich im Meer bei Capri, wie das Bild deutlich beweist. Es tut mit leid, es so schreiben zu müssen: Die Flippers haben recht! 😉

Vor uns liegt das italienische Festland, genauer das Land der Tyrrhenoi, wie die Griechen das Volk hier nannten. Für die Lateiner waren sie Etrusci oder Tusci. Spätestens seitdem die Römer den Rubikon überschritten hatten, war das antike Volk jedoch assimiliert. Das Land blieb, wir nennen es heute Toskana.

Für die meisten, die mit uns das Fährschiff verlassen, ist der Urlaub jetzt vorbei und der Run über die Autobahn nach Hause beginnt. Wir haben noch ein bisschen Zeit und wollen Bekanntes und länger nicht mehr Gesehenes besuchen.

Jens

Er fotografiert und manchmal schreibt er auch.

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