Unser Auto bekam gestern Abend Schonkost. Es gab 230 Volt mit 16 Ampere, langsam injiziert, über viele Stunden. Das war ein Service der Unterkunft, ohne extra Abrechnung, einfach so. Naja, bezahlt haben wir das schon irgendwie, war ja teuer genug, trotzdem eine schöner Service auf Massimos Gut. Wir haben uns sehr wohlgefühlt und haben die ausschließlich selbst angebauten und hergestellten Speisen genossen. Für uns war allerdings nicht viel mit Schonkost, dafür ist es einfach zu lecker. 

Heue Morgen war der Patron schon wieder in Bauernkluft unterwegs, sah bei allen seinen Mitarbeitern vorbei und hatte noch einen kurzen Gruß für uns übrig. Ich glaube, wir waren die letzten Gäste. Im Nachhinein müssen wir uns fragen, ob es wirklich schlau war, am Anfang des Urlaubs hier vorbei zufahren. Es wird jetzt wirklich schwierig, den kulinarischen Standard zu halten. 

Allzuweit werden wir uns heute gar nicht fortbewegen. Wir queren nur die Po-Ebene weiter, um im Süden über den Apennin bis ans Meer zu fahren. Das Meer interessiert uns dabei vorerst gar nicht, vielmehr das weiße Calziumcarbonat, was hier an der Küste vor Millionen Jahren emporgehoben wurde und nicht erst in der Renaissance Weltruhm errang. Schon die Römer und vorher vielleicht die Etrusker bauten den weißen Stein in Cararra ab, Michelangelo lebte dreieinhalb Jahre auf und in einem der Steinbrüche, um den besten Marmor für seinen David und weitere geplante Kunstwerke zu finden.

Genau diesen Steinbruch, wo Michelangelo schon arbeitete, wollen wir heute besuchen. Also eigentlich nicht diesen Steinbruch, der ist längst stillgelegt, sondern den seit den 1960er Jahren bestehenden Steinbruch im Berg. Bis heute wussten wir beide nicht, dass Marmor auch im Berg abgebaut wird. Jetzt haben wir es sogar besichtigt. Nur vier Männer arbeiten in der Marmormine Fantiscritti, um tonnenschwere Blöcke herauszuschneiden. Es ist ein Familienbetrieb, die Männer sind im wahrsten Sinne des Wortes steinreich.

Unsere Führung dauert eine knappe Stunde. Wir wurden mit einem Kleinbus von Süden hereingefahren, von Norden hätte man mit dem eigenen Auto einfahren können. Wir standen sogar draußen vor dem Portal, hatten aber keine Möglichkeit uns anzumelden. Das ging nur via Whats App – was wir ablehnen. Das wird inzwischen manchmal echt schwierig. So fuhren wir um den Berg herum zum anderen Eingang und konnten bei einer leibhaftigen Menschin zwei Tickets lösen, wurden 15 Minuten später abgeholt und etwa 600 Meter weit in den Berg gebracht, genau bis in die Mitte, dorthin, wo das weiße Gold mit Diamanten aus dem Berg gesägt wird. Es ist immer nur Calciumcarbonat, trotzdem variiert der Preis pro Tonne zwischen 200 und 20.000€, je nach Farbe und Maserung. Das Farbspiel reicht von grau bis weiß. Je langweiliger (reines Weiß), desto teurer.

Wieder aus dem Berg heraus, plagte uns ein Hüngerchen. Linderung erwarteten wir im Nachbardorf, gelegen am nächsten Berghang. In Colonnata wurde das zur Perfektion kultiviert, was für nahezu jeden Marmorbrecher hier früher und vielleicht auch noch heute die Tagesmahlzeit war bzw. ist: In Marmortrögen gereifter Rückenspeck von Schweinen. Die Delikatesse heißt Lardo. Fleischgenießer:innen, die mit purem Speck ein Problem haben, sollten die Augen schließen und trotzdem probieren. Es schmeckt nach Schinken. Hier sehen bzw. schmecken wir, wie gut Zeit fast allem tut.

Nach Colonnata kommt man mit eigenem Fahrzeug nur außerhalb der Saison und auch heute haben wir großes Glück, den einzigen freien Parkplatz in Besitz nehmen zu können. Danach suchen wir uns nur noch eines der kleine Lokale aus, bestellen Wein und ALLE Variationen zum Genuss des Lardo.

Für uns ist der Geschmack nicht wirklich neu, wir essen das auch zu Hause, das Ambiente hier lässt es aber zu einem besonderen Genuss werden. Wer dies mal zu Haus probieren möge: Klingt jetzt komisch, aber den besten Lardo in Dresden bekommen wir in unserem Lieblingskäseladen. Wer mehr wissen will, kann gern nachfragen.

So gestärkt werden die letzten knapp 60 Kilometer kein Problem. Unser Tagesziel ist Lucca, die toskanische Stadt mit der vier Kilometer langen Stadtmauer und der eiförmigen Piazza dell Anfiteatro, welcher, der Name verrät es, vor zweitausend Jahren noch römische Kultstätte war. In Orten wie Nîmes blieb die Arena erhalten, anderenorts diente sie als Steinbruch, die Lucchesi bauten einfach ihre Häuser hinein, sodass uns nur noch die Eiform des Platzes an die römische Arena erinnert.

Wir sind zwar bei dieser Reise hier ziemlich ziellos unterwegs, aber natürlich keinesfalls planlos. Auf den hinteren Seiten meiner Bucket list fand ich einen Eintrag wieder, der vor mehr als zwanzig Jahren darauf gelandet war:

Einmal mit dem Fahrrad über die Luccheser Stadtmauer fahren.

Früher haben wir uns nie ein Fahrrad geliehen, wenn wir hier waren, da sind wir einfach gelaufen, wahrscheinlich war uns auch das Geld zu schade, um hier einen Drahtesel gemietet zu haben. Heute aber haben wir die Fahrräder mit. Unsere Unterkunft liegt innerhalb der Stadtmauern, das Auto muss draußen parken, bekommt dafür wieder Schonkost in 50 Herz und wir haben so gepackt, dass wir nur mit Fahrradtaschen auf den Rädern in unser Quartier innerhalb der Stadtmauern fahren. Eva hatte vorher schon erfragt, ob es ein Plätzchen für unsere Räder gäbe, was uns bestätigt wurde. So ein bisschen gaukeln wir damit falsche Tatsachen vor: Es sieht für unsere Quartiermeisterin so aus, als wären wir nur mit dem Fahrrad unterwegs… Egal, wir inspizieren schnell unser Zimmer und machen uns wieder auf den Weg.

Gegenüber unserem Quartier findet im Büro der Grünen Linken eine Wahlkampfveranstaltung statt. Am 12. und 13. Oktober ist Regionalwahl, das sind jetzt die letzten Veranstaltungen. Uns führt der Weg nicht in Wahlbüro, sondern erst zum „Eiplatz“ für ein nachmittägliches Getränk und dann auf die Stadtmauer, einmal rings herum. Ein Ziel für das Abendessen haben wir schon gefunden, reservieren können wir leider nicht und werden deshalb am Abend „outside“ ein bisschen frieren müssen. 18°C in der Toskana sind irgendwie kälter als zu Hause!

Jens

Er fotografiert und manchmal schreibt er auch.

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