Ein blauer Himmel wölbte sich heute morgen über uns als ich aus dem Fenster sah. Nachdem ich aber die letzten Matrazentests durchgeführt hatte, war er schon wieder weg. Aber wenigstens war es windstill und trotzdem waren keine Sechsbeiner unterwegs. Denen war es vielleicht auch zu zeitig. Erstmalig diesen Urlaub begann ich schon Kaffee zu kochen, bevor der Wecker geklingelt hatte. Und das war zu einer Zeit, die man guten Gewissens als „Morgen“ bezeichnet kann.

Unser Ziel für den heutigen Tag sollte der Neist Point auf der Isle of Skye sein. Dort steht auf einem der Steilküste vorgelagerten Felsplateau Schottlands meistfotografierter Leuchtturm – schon millionenfach abgelichtet – aber noch nicht von jedem und auch nicht von mir. Und das sollte sich heute ändern. Wir entwarfen unseren Reiseplan um ein prognostiziertes Wolkenloch herum, das just heute Abend am Neist Point entstehen sollte. Für mich war die Vorstellung, bei einem Sonnenuntergang dort zu sitzen und zu fotografieren immer der Inbegriff eines Schottlandurlaubes. Zu spät sollten wir also nicht dort sein. Zwar geht die Sonne erst nach 22:00 Uhr unter, aber das schönste Licht auf die Felsen muss vorher entstehen, wenn die Bilder, die ich vom Neist Point gesehen habe, echt sind. Außerdem ist die Anzahl der Parkmöglichkeiten sehr begrenzt und es war die letzten Tage schon absehbar, dass die Wohnmobildichte zunehmen wird.

Aber trotzdem führte uns heute der Weg zum Ziel nicht auf geradem Weg dorthin, sondern auf einem schönen Weg. Als erstes wollten wir Applecross, einen kleinen unbedeutenden Hafenort besuchen und von dort den gleichnamigen Pass befahren. Auch dafür waren die Wetterprognosen schon mit Sonnenstrahlen versehen.

Zeitig erreichten wir Applecross. Der Ort lag noch mindestens im Halbschlaf. Da sattelten wir erstmal die Räder und fuhren eine Runde um die Buchten. Als wir zurück waren, gab es dann auch frisch zubereitetes Seafood für uns. Zwar nicht in der Qualität wie gestern, aber passabel.

Frisch gestärkt ging es jetzt auf den Applecross Pass. Über diesen kann man im Internet allerhand lesen und sehen. Schwierig soll er sein, nicht für große Fahrzeuge, einspurig, sehr eng, steil und in sehr schlechtem Zustand – eine gefährliche Strecke. Genau das richtige für uns und um es gleich vorwegzunehmen: nichts daran ist gefährlich. Für große Autos ist er tatsächlich nicht geeignet, glücklicherweise haben wir kein solches 😉

Wäre es anderes, hätten wir nicht den LKW an uns vorbeilassen können, der plötzlich vor uns stand, als er in einem Affenzahn den Pass herunterkam. Für Eva sind diese Meetings mit entgegenkommenden Fahrzeugen besonders hautnah, da sie auf dieser Seite sitzt, fahren will sie ja nicht. Ich weiß nicht, wieviele Male sie heute dachte, dass der rechte Außenspiegel dran glauben muss oder sie die entgegenkommende Fahrer:in gleich auf dem Schoß haben würde. Manchmal hat sie ziemlich geschwitzt. Ich jedenfalls hatte meinen Spaß auf dem Pass. Hier lohnte sich unsere Fahrzeug mal richtig, da wir auch mal links oder rechts vom Asphalt herunterfahren konnten, ohne Angst zu haben, für immer dort festzustecken.

Im Allgemeinen sind schottische Autofahrer:innen sehr entspannt. Statistisch gibt es nur einen Idioten am Tag. Meist sind dies junge Leute, die mit ihren tiefergelegten Möchtegernsportwagen wohl in den Ferien auf die Straßen freigelassen werden, heute aber war es der LKW-Fahrer. Dieser auf dem Pass jedenfalls war nicht der Meinung an einer der Passing Places zu warten, so dass ich und andere passieren konnten. Er fuhr einfach weiter. Normalerweise hat ja der bergauf Fahrende Vorfahrt, in diesem Fall griff aber wohl wieder das übergeordnete Gesetz, dass ich Platz mache. Also fuhr ich am Berg rückwärts bis zum nächsten Passing Place. Macht echt Spaß ohne Blick nach hinten, steil bergab, mit einer LKW-Stosstange am Kühlergrill. Wahrscheinlich sind die Fahrer, die hier ihrer Arbeit nachgehen, einfach nur genervt von den Touristen und nehmen halt keine Rücksicht mehr auf diese. Außerdem sind wohl Berufskraftfahrer sowieso der Meinung, dass sie ihren Job viel besser können als die ganzen Amateure, die sie nur stören. Das wird auch so sein, ich stelle mir in diesem Fall immer die Frage, ob sie meinen Job auch so machen würden, wie ich ihren…und lasse ihnen ihren Willen.

Der Pass aber und die Aussicht von dort ist wirklich jeden Kilometer Wert, inklusive der vielen Ausweichmanöver. Ich würde sagen, es ist der Höhepunkt der NC500. Eva war aber trotzdem froh, als wir auf der Ostrampe die Serpentinen hinter uns gelassen hatten und wieder auf Meereshöhe waren.

Nun reihten wir uns auf die Straße Richtung Skye Bridge ein, um auf die Sehnsuchtsinsel der meisten Schottlandurlauber zu kommen. Wir haben bis jetzt einen Bogen darum gemacht, um gutes Wetter abzuwarten. Man liest inzwischen sehr vieles von der Isle of Skye, inklusive dem Rat, die Insel zu meiden, weil sie sowieso völlig überfüllt sei. Und ja, sie ist voller als alle anderen Orte in Schottland, die wir bisher bereist haben, es ist aber nicht so, dass man in Kolonne fahren und nirgends mehr Platz bekommen würde.

Wir fuhren schnurstracks zum Neist Point. Auch dort unterschied sich die Anfahrt nicht wirklich von der Single track road, die wir heute schon am Applecross Pass gefahren waren. Das war machmal ein ganz schönes Tetris auf der Straße, um alle Fahrzeuge durch die Passing Places zu leiten. Da braucht nur mal ein Fahrzeug dabei zu sein, dessen Fahrer:in nicht mitdenkt oder denkt, es wäre kein Auto, sondern ein Tankschiff…und eine(n) gibt es immer 😉

Am Ende erreichten wir unser Tagesziel und ergatterten auch eine Parkbucht ganz am Ende der Straße. Als wir eingeparkt hatten, meinte eine Autofahrerin, die uns wohl die ganze Zeit gefolgt war: „Your experience is driving!“ Danke dafür, hat auch Spaß gemacht 😉

Ich war jetzt ja ein bisschen aufgeregt, hatte ich doch gerade meinen „Höhepunkt“ der Reise erreicht. So machten wir uns gleichmal auf und suchten oben auf der Steilküste den optimalen Blick auf das Felsplateau mit dem Leuchtturm. Vom Ende des Straße sieht man diesen nämlich gar nicht. Als er gefunden war, setzten wir uns erst einmal in die Sonne, die vom blauen Himmel schien. Ja, Sonne und blauer Himmel. So etwas gibt es hier auch, das wissen wir jetzt. Mathematisch korrekt: Es gibt mindestens einen Ort in Schottland an dem an mindestens einem Nachmittag die Sonne scheint. Das beides genau hier konjugiert, ist ein Riesenglück.

Nachdem wir genügend Sonne für den Moment getankt hatten, gingen wir zurück zum Auto und lauerten auf den Augenblick, wo eine Parklücke frei werden würde, die wir für die Nacht nutzen könnten. Die Anforderungen von unserer Seite sind gering, aber hinreichend gerade soll es sein. Ausgleichskeile kommen nicht in Frage, da es dann kein Über-Nacht-Stehen mehr wäre, sondern Camping – und das ist in Schottland nicht erlaubt. Die dem skandinavischen Jedermannsrecht ähnliche schottische Regelung gilt nicht für motorisierte Camper, auch wenn das viele von ihnen nicht wissen oder wahrhaben wollen. Eine frei werdende Parklücke verteidigte Eva mit ihren Leben, während ich unser Auto manövrierte und so hatten wir unseren Stellplatz für die Nacht auf 1° genau gefunden. So blieb auch das Nudelwasser im Kochtopf.

Nach dem Essen wurde ich dann so langsam unruhig, wollte ich doch keinesfalls den Moment verpassen, wo die Sonne die Felswand am Leuchtturm beleuchten würde. Am Himmel war ein kleines Wolkenband erschienen und ich war mir nicht sicher, ob dieses mit der Sonne am Horizont versinken würde – das wäre schlecht – oder ob die Sonne später noch einmal unter dem Wolkenband hervortreten würde. Um auf Nummer Sicher zu gehen, wollte ich wenigstens ein „Sicherheitsbild“ machen. Meine Frau eröffnete mir, dass sie sowieso gern mitgehen würde und ich solle schon mal losgehen und die Decke nicht vergessen. Sie würde nach dem Abwasch nachkommen. Auch dafür liebe ich meine Frau. (Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich sonst in diesem wie in jedem Urlaub meine Frau niemals mit dem Abwasch allein lasse!)

Ich machte am Ende viele Sicherheitsbilder – immer wieder. Die Sonne kam wie gewünscht auch unter dem Wolkenband wieder hervor. Mit jeder Minute wurde das Licht schöner und es fiel genau dorthin, wo ich es haben wollte. (Das tat es natürlich nicht für mich, dass macht es einfach so 😉 ) Die Summe aller Umstände heute bringt diesen Ort hiermit auf Platz 1 unserer Liste „Na Schatz, wo war es besonders schön?“. Auf diesem Platz ist Neist Point nicht allein, aber in sehr erinnerungswürdiger Gesellschaft für uns.

Wir waren natürlich in Gesellschaft hier am Neist Point. Die Erwartung eines solchen Abends haben viele. So entsteht eine schöne Stimmung, keiner ist laut, alle genießen das, was sie gerade hier erleben dürfen. Auch bin ich nicht der einzige Fotograf, aber auch die nehmen alle Rücksicht aufeinander, jeder schaut, dass er dem anderen nicht im Bild steht. Und natürlich kommt auch die ein oder andere Handybesitzer:in vorbei und fragt, ob man mal ein Bild von ihr und dem Leuchtturm machen könne. Auch das geht, Zeit ist heute genug. Nur eines ließe sich bemängeln: Der Himmel ist einfach blau, bis auf das kurze Wolkenband über der Sonne ist er einfach nur blau, keine weitere Wolke zeichnet Kontraste in den Himmel oder wirft Schatten ins Meer. Das ich Wolken nochmal vermissen würde in Schottland…

Plötzlich steht ein Schotte neben uns und fragt, wo wir herkämen. Als wir wahrheitsgemäß Auskunft geben, fragt er uns, ob wir deutsch weiterreden könnten, er hätte 20 Jahre für die BBC Deutschland in London gearbeitet, ein Jahr davon in Dresden. Er war gerade 60 geworden, seine Feier war vorbei und er wollte an diesem schönen Abend nochmal zum Neist Point. Sein Handy wäre aber leer und er könne so leider kein Bild machen. Uns fragt er nun, ob wir dieses Bild mit ihm mit unserem Handy machen könnten um es ihm dann zu schicken. Klar, auch das machen wir gern: „Happy Birthday, Scott!“.

Jens

Er fotografiert und gelegentlich schreibt er auch.