So lang dauert es ab der Vorfahrt beim örtlichen Reifenservice bis zum Verlassen desselben. Nicht zuhause mit Termin, da schaffe ich dies eher nicht in dieser Zeit, wenn die Räder vom Sommer zum Winter und andersherum getauscht werden. Aber hier in Kanada funktioniert das, ganz ohne Termin. Aber fangen wir dazu etwas weiter vorn an.
Vor ein paar Tagen, es war noch auf Vancouver Island, machte uns die Reifenluftdruckkontrolle des Fahrzeugs das erste Mal darauf aufmerksam, dass hinten rechts der Luftdruck nachlassen würde. Anzusehen war dem Rad nichts, aber es fehlten ein paar psi (Pfund pro Quadratzoll, engl. „pounds per square inch“). Das lösten wir an der nächsten Tankstelle mit Aufpumpen. Die zur Verfügung stehende Messtechnik mutet archaisch an, aber das kennen wir aus Nordamerika. Das war schon vor mehr als 26 Jahren so, als wir schon einmal einen Reifen wechseln mussten. Damals aber konnten wir es darauf schieben, dass wir die Offroad-Fähigkeiten der Bereifung wohl etwas zu euphemistisch eingeschätzt hatten. Aber jetzt? Wir beließen es also beim Aufpumpen.
Dieser Termin an der Tankstelle wurde zu unserem ganz persönlich täglich grüßenden Murmeltier. Die Stelle, in der es leckte, fanden wir aber nicht und bei einem mehr als 5 Tonnen schweren Gefährt überlege ich mir zweimal, ob ich zur Tat schreite und das Rad wechsele. Eva wurde aber jeden Tag etwas unruhiger, gerade mit der Aussicht, dass wir noch mehrere hundert Kilometer auf einer einsamen Schotterstrecke ohne jeden Service vor uns haben. Im Grunde ging es mir nicht anders, ich lasse mir das nur nicht so anmerken 😉
Also beschlossen wir, demnächst mal einen Tire Service aufzusuchen. Eigentlich wollten wir das morgen machen, da hätten wir ob des prognostizierten schlechten Wetters Zeit, aber nach 25 Kilometern, als wir von unserem Campground zurück in Revelstoke waren, sah Eva ein entsprechendes Dienstleistungsunternehmen, welches auch auf große Fahrzeuge eingerichtet schien und wir fuhren mal hin. Im Büro schilderte ich unser Problem. Inzwischen hatte ich auch den Übeltäter gefunden. Wir hatten uns eine Art Nagel eingefahren, mit einem ziemlich breiten Kopf, der offenbar das entstandene Loch ganz gut abdeckte. Als ich gestern Abend aber mal mit etwas Spucke geprüft hatte, warf diese schöne Bläschen. Kurzerhand sagte der Herr am Tresen, er würde das Fahrzeug in Garage 2 mal rausfahren und ich sollte reinfahren. So schnell geht das also.
Ich war noch nicht ganz ausgestiegen, schon war der Wagen hinten aufgebockt und das Rad abgesteckt. Ich zeigte dem Monteur den Nagel, er prüfte nochmals mit Seifenwasser, bestätigte meinen Verdacht und nahm den Reifen von der Felge. Was wir dann sahen, war allerdings kein Nagel, sondern eine Schraube oder Bolzen, fingerdick und genauso lang. Das, was ich für einen breiten Kopf eines Nagels hielt, war der Durchmesser des Objektes. Es wurde jedenfalls ziemlich großes Werkzeug geholt, um das Teil aus der Lauffläche zu bekommen. Dieses Loch würde in Deutschland zum sofortigen Totalschaden des Reifens führen, hier nicht. Der Gummistopfen würde nur etwas dicker ausfallen. Fachmännisch wurde der Stopfen einvulkanisiert, der Mantel wieder auf die Felge gezogen, aufgepumpt, noch einmal mit Seifenwasser geprüft und dann das Rad wieder montiert. Nach einer halben Stunde fuhren wir wieder aus der Garage raus, nicht ohne die Rechnung bezahlt und die Kaffeekasse aufgefüllt zu haben. Das Ganze hat umgerechnet etwa 40€ gekostet. Eva meinte scherzhaft, das wäre in Summe günstiger als jeden Tag für C$ 2.50 den Reifen an der Tankstelle aufzupumpen. Wir fühlen uns jetzt beide besser angesichts der bevorstehenden Route. Die ersten reichlich 200km hat der geflickte Reifen jetzt auch hinter sich und es sieht nicht so aus, dass wir morgen früh aufpumpen müssten.
Aber die Gegend hat mehr zu bieten als nur einen Tire Service. In Revelstoke haben wir wieder den Trans Canada Highway erreicht. Hier ist mehr oder weniger das Westtor zu den kanadischen Rockies. Gleich hinter dem Ort liegt der gleichnamige Nationalpark. Dieser Park, der von den Bewohnern selbst gefordert worden war, schützt eine Bergwiesenidylle, die vor allem für Wanderungen im Sommer wie im Winter genutzt wird. Wenn der Winter hier 6 Monate andauert, dann ist es ein gutes Jahr.
Wir waren jetzt eine ganze Zeit nicht mehr in einem Nationalpark und sind gleich wieder von der Organisation angetan. Schon am Eingang wird uns gesagt, dass der Parkplatz oben für Wohnmobile derzeit voll wäre, wir aber durchaus losfahren könnten. Wir sollen dann an einem der zahlreichen Viewpoints einfach warten bis uns ein Wohnmobil entgegenkommt und dann weiter bergauf fahren. Genauso haben wir es gemacht.
Nach unserem Ausflug auf den Berg verspüren wir ein Hüngerchen und finden tatsächlich im Ort ein kleines Restaurant mit dem Namen „La Baguette“. Das ist ein großes Versprechen … welches gehalten wird. Hier gab es richtiges Baguette! Wir haben es trotzdem nicht gekauft, dafür aber ein rundes, dunkles Brot mit fester Kruste. Sehr sympatisch fanden wir, dass im Laden eine Information hing, das Brot vor 12:00 Uhr nicht geschnitten verkauft wird, weil es dann noch nicht ausgekühlt wäre. Wir freuten uns auf unser Brot dann zum Abendessen und was soll ich schreiben: Es roch und schmeckte nach Sauerteig! Das wir so etwas finden konnten!
Als nächstes wartete der Revelstoke Dam auf uns, eines der 12 Stauwerke des Columbia Rivers in Kanada und der USA. Wir besuchten diesen 175m hohen Staudam schon 1995. Damals waren die vier Turbinen erst seit 11 Jahren in Betrieb. Es ist manchmal erschreckend, wieviel Zeit vergangen ist: Unser jetziger Besuch ist 30 Jahre später! Inzwischen sind es 5 Turbinen, eine 6. sollte schon 2021 installiert werden, davon ist aber noch nichts zu sehen. Jede dieser Turbinen treibt einen 500MW-Generator. Da sind mir Wasserturbinen irgendwie lieber als jene in Kernkraftwerken, die jeweils auch ungefähr diese Leistung haben.
Bisher hatten wir uns heute nur im direkten Umland von Revelstoke herumgetrieben. Jetzt aber wartete noch die Weiterfahrt bis nach Golden weiter in die Rockies auf uns. Wir hatten es nicht eilig, weil das Wetter dort nicht so toll aussah. Die Weiterfahrt nach Osten bot aber entgegen der Prognosen schönes Wetter und schöne Aussichten. Für einen Alpenkenner ist die Fahrt auf dem TCH in den Rockies nicht wirklich einzigartig. Die nahezu undurchdringlich ausschauenden Wälder an den Hängen sind dann aber doch wieder sehr speziell und so in den Alpen nicht zu finden.
Golden erreichten wir bei bedrohlich ausschauendem Wetter, aber es ist immer noch trocken. Weil wir schon vor einem halben Jahr nichts anderes mehr bekommen hatten, stehen wir auf dem städtischen Campground. Der befindet sich auf der Wiese der Secondary School, die jetzt verwaist ist, da Ferien sind. Unsere direkten Nachbarn sind jetzt schon in ihrem Bau.