Schon gestern Abend, nach Verlassen Tromsøs, begann der Himmel aufzuklaren. Eigentlich gute Voraussetzung um Nordlichter zu sehen. Und tatsächlich gab es irgendwann nach Mitternacht einen Nordlichtalarm an Bord. Eva wurde davon sogar geweckt, weckte mich, ich schaute aus dem Fenster, sah ein sachtes Wabern am Himmel … und legte mich wieder hin. Ich weiß, wir sind verwöhnt: Aber da muss schon mehr passieren als eine blassgrüne Diashow am Nachthimmel. Wir hatten unsere Quotennordlichter auf Senja, und diese hier in der Nacht waren die Quotennordlichter für die Hurtigrute. Sähe man nämlich keine auf einer Hurtigrutenfahrt im Winter, könnte man kostenlos noch einmal mitfahren.

8.30 Uhr erreichten wir Havøysund, einen kleines unbekanntes Fischerdorf, der letzte Hurtigrutenhafen vor dem Nordkap. Für uns ist dieser Hafen aber keineswegs unbekannt: Wir gingen hier zu Ostern 2018 mit unserem Auto (also nicht unserem, es war ein Mietwagen) von Bord und warteten auf den Start der Kolonne, um die etwa 100 km bis zur E6 zurückzulegen. Diese Strecke, die als eine der landschaftlich schönsten Ruten in Norwegen zählt, wollte ich immer mal fahren. Zu Ostern 2018 war es so weit – und ich habe nichts davon gesehen. Vor uns fuhr die Schneefräse, dann kam ein Personenwagen, dann wir und dann der Schneepflug. Auf den ganzen 100 Kilometern sah ich nichts außer Schnee. Den Plan, auf der E6 angekommen, dann links abzubiegen Richtung Nordkap mussten wir einst begraben, weil wir diese Kolonne verpasst hatten. Wir besichtigten dann Hammerfest und vermaßen die Welt. Heute machten wir in Havøysund einen Rundgang auf Deck 5 in Eiseskälte, nur um uns danach wieder nach innen zurückzuziehen.

Zwischen hier und dem Nordkaphafen Hønningsvåg passieren wir den Magarøysund in wirklich schönen Morgenlicht. Der Magarøysund ist bestimmt nicht jeder LeserIn ein Begriff, aber vielleicht hat schon die Eine oder Andere Bilder oder Filme gesehen, wo ganze Rentierherden durchs Meer schwimmen. Das ist genau hier.

Früher schwammen die Tiere im Frühjahr durch den an der schmalsten Stelle 1,8 Kilometer breiten Sund, um zu ihren Sommerweiden zu gelangen. Da die Tiere nach dem Winter sehr geschwächt sind und diese Schwächung mit der Klimaerwärmung zunimmt, überstanden immer mehr Tiere die Querung des Sundes nicht, handelt es sich doch um eine der stärksten Strömungen in Norwegen. Die Sami setzten deshalb Transportschiffe ein, um ihre Tiere auf die Nordkapinsel Magerøy zu bringen. Mit der Fertigstellung des fast sieben Kilometer langen und über 200 Meter tiefen Tunnels durch den Sund wurden auch diese Schiffe obsolet. Seitdem werden die Tiere mit LKWs transportiert. Den Rückweg im Herbst nehmen die Tiere dann meist heute noch mit eigener Kraft durch den Sund.

Wir hatten die Entscheidung, ob wir das Nordkap besuchen würden, bis hierher herausgezögert. Wir wollten das nur machen, wenn das Wetter schön wäre. Und? Was soll ich jetzt schreiben? Uns war es nicht schön genug! Der blaue Himmel wich so langsam dicken Wolken und das war es uns nicht Wert, über 350€ auszugeben, um dann in einem Bus zum Nordkap zu rasen, ohne selbst das Tempo bestimmen zu können. Wären wir noch nie hier oben gewesen, würden wir bestimmt anders entschieden haben. Aber für uns bieten die 71°10′21″ nördliche Breite keine Anziehungskraft, boten sie auch nie. Wir hatten über 15 Jahre Norwegenreisen gebraucht, um das erste Mal an der „Schrottkugel“ zu stehen. Inzwischen waren wir auf Svalbard und haben den Nordpol quasi gesehen. (Das wiederum ist jetzt etwas übertrieben)

Unweigerlich lauschten wir den Stimmen derer, die vom Nordkap zurückkamen und alles, was wir vernahmen, klang durchweg beeindruckt und begeistert. Das ist natürlich schön für diese Passagiere, da es doch ein ziemliches Glück ist, überhaupt solch ein Wetter hier zu erleben. Im Sommer noch mussten wir kopfschüttelnd Menschen „ertragen“, die muffelnd und grummelnd hier oben Platz besetzten, ohne sich des Glückes bewusst werden zu können, welches sie in diesem Moment hatten. Und dabei hatten diese Menschen eine lange Busreise aus Deutschland auf sich genommen, um hierher zu kommen. Mag es für einige LeserInnen vielleicht etwas abgehoben klingen, wenn uns gerade das Wetter nicht „gut genug“ erscheint, sind wir aber froh darüber, dass wir nach wie vor erkennen können, unter welch‘ glücklichen Umständen wir verschiedene Orte auf dieser Welt besuchen können oder sogar wiederholt besuchen dürfen. Spätestens das obige Beispiel der grummeligen Nordkapbesucher zeigt uns das und wir wollen hoffen, dass uns diese Achtsamkeit und das Bewusstsein für den Moment niemals abhanden kommen wird.

Als alle wieder an Board waren und sich Hønningsvåg schlafen zu legen schien, bestimmt nur, um am nächsten Tag, wie jeden Tag, zur selben Uhrzeit wieder aufzuwachen, passierten wir bei – drücken wir es euphemistisch aus – nicht ganz spiegelglatter See den Porsangerfjord. Kurz vor Erreichen der kleinen Siedlung Kjøllefjord an seinem Ostufer vernahmen wir die Durchsage, dass die geplante Motorschlittenfahrt wegen zu starken Windes ausfallen würde. Für uns war das nur eine Randnotiz, diejenigen, die gebucht hatten, haben viel Geld gespart. Das avisierte Event des Bestaunens von Nordlichtern vom Motorschlitten aus wäre heute sowieso nichts geworden. Unseren Tischnachbarn beim Abendessen habe ich vorsorglich schonmal ein paar Nordlichter aus der Konserve gezeigt…