Sahara also. Jetzt. Für die nächsten 2 Tage. Wir sind gespannt, was von unseren Eindrücken vor acht Jahren noch übrig sein wird, die beiden Jungs sind gespannt, wie sie das Meer aus Sand sehen werden. Gestern Abend merkte man schon eine gewisse Angespanntheit bei den Vorbereitungen.

Wir können euch die Wüste nur zeigen – sehen müsst ihr diese allein.

Die Wüste birgt viele Geheimnisse, bekannte wie auch unbekanntere. Jeder kennt den Dschinn aus der Flasche, viele kennen Geschichten über die Tuareg, manche davon romantisch, manche beängstigend. Antoine de Saint-Exupéry stürzte nach saharanischen Maßstaben hier ganz in der Nähe ab und hatte seine Vision des Kleinen Prinzen an denen er im Nachhinein Generationen von Kindern und Erwachsenen teilhaben lies. Wir sind jedenfalls gewappnet, im Vorfeld reüssieren wir Walter Moers, rezitieren Phonzotar Huesos Gimpelgesetze:

  • Ehre das Gimp!
  • Du sollst keinen weißen Hahn mit seinem Namen grüßen!
  • Du sollst kein Holz essen!
  • Wenn du zwei übereinander gelegte Hölzer auf dem Boden siehst, sollst du sie nicht mit dem rechten Fuße vorwärts übertreten, sondern rückwärts mit dem linken; ferner sollst du die Hölzer nicht verspeisen!
  • Fällt der Schatten eines Geiers auf ein erloschenes Feuer, so muss dieses dreimal neu entfacht werden, denn sonst droht großes Unglück.
  • Kreuzt du den Weg eines weißen Hahns, der auf zwei übereinandergelegten Hölzern sitzt, so darfst du ihn nicht schlagen; noch sollst du ihn mit Namen grüßen oder von den Hölzern kosten!
  • Du sollst einen Namen tragen, der sei wie kein anderer Name im Universum! Begegnest du einem deiner Brüder, so sollst du ihn fehlerfrei und mit vollem Namen anreden!
  • Fällt der Schatten eines Geiers auf einen weißen Hahn, der auf zwei verkohlten Hölzern eines erloschenen Feuers sitzt, befindest du dich in einer beklagenswerten Situation. Du sollst dennoch nicht deinen Mut sinken lassen noch den Hahn mit seinem Namen grüßen, die Hölzer verspeisen, den Geier schlagen oder deinen Bruder unzureichend begrüßen!
  • Du sollst nicht rückwärts finkeln!
  • Du sollst nicht vorwärts finkeln!
  • Du sollst nicht auf einer Düne nächtigen, die gegen Mittag wandert! Wandert sie hingegen Richtung Abend, dann gute Nacht!
  • Du sollst nach der Stadt mit dem Namen Anagrom Ataf gehen, und wenn du sie gefunden hast, sollst du sie fangen und zu deiner Heimstatt machen für immerdar!

Anagrom Ataf (Unwissende sollten dies mal von hinten nach vorn lesen) haben wir tatsächlich in der Ferne mehrfach entdecken können, gefangen haben wir diese nicht, wir haben es nicht einmal versucht – wir sind keine Gimpel. Gimp, den Blaupilzkaktus, haben wir auch nicht  gefunden, hätten wir das, würden wir es bestimmt angemessen geehrt haben. Alle anderen Regeln haben wir stringent und konsequent verfolgt. Ich versichere allen LeserInnen, wir grüßten keinen einzigen weißen Hahn mit seinem Namen, wir aßen kein Holz, wir sahen keine zwei übereinandergelegten Hölzer auf dem Boden, mussten somit nicht darauf achten, diese nicht mit dem rechten Fuße vorwärts nicht zu übertreten; kein Geiers Schatten fiel auf ein erloschenes Feuer oder einen weißen Hahn, auch kreuzte kein solcher unseren Weg und vice vérsa. Begegneten sich aber unsere beiden mitreisenden Brüder, so konnte ich vernehmen, dass sich beide mit Namen anreden konnten, auch wenn diese weit von gimpeloider Singularität entfernt erscheinen.
Finkeln? Nicht nötig! Inzwischen finden sich selbst in der Wüste Toiletten mit Wasserspülung.
Auf den höchsten Dünen der Sahara hier in der Erg Chebbi zu nächtigen hätte sogar einen Reiz, wir waren uns aber nicht gänzlich sicher, welche von ihnen nicht am Mittag wandert.

Wir sollten unserer ganz eigenen Vision nachirren: Schattenreiter, Fabelwesen der Dünen, Trugbilder im Sand, Schrecken aller Karawanen. Kaum schienen wir sie erreicht zu haben, verschwanden sie, nur um kurze Zeit später wieder in einiger Entfernung zu erscheinen. Sie lockten uns immer tiefer in das Sandmeer, die letzten Zeugen der Zivilisation verschwanden hinter uns. Kein Haus, kein Strommast, kein Funkturm unterbrach unseren Blick am Horizont, rings um uns nur Sand, Kristalle aus Siliziumdioxid, rot gefärbt von Eisenoxiden, von der Sonne vergoldet. Mit tiefer stehender Sonnenscheibe wurden die Schattenreiter größer, zu wahren Riesen. Ihre Reittiere hatten unvorstellbare lange Beine, die sie weitaus schneller vorankommen ließen, als wir das konnten. Mit dem Sonnenuntergang schienen sie plötzlich von der Wüste verschlungen, versteckten sich gleichsam unsichtbar in den Dünen. Wir blieben allein zurück, nur um am nächsten Morgen, wenn Amun Ra’s Barke die Dunkelheit durchquert haben würde, um im neuerlich gleißenden Lichte des Atons das immer wieder gleiche Spiel mit uns zu treiben, wiederum dem dunklen Treiben der Schattenreiter ausgeliefert zu sein.

Auf dem Weg zu unseren Zelten, in einer Dunkelheit, wie sie selbst Professor Dr. Abdul Nachtigallert nicht mehr bemessen könnte, vollständig den Sinnen unserer Dromedare vertrauend, Myriaden von Sternen am Firmament – zu viele um bekannte Sternbilder erkennen zu können – sendeten ihren schwachen Schein auf den Wüstensand vor uns, erreichten wir, einige erleichtert, andere jauchzend vor Freude, wieder andere schwankend unser Ziel. Jetzt, selbst Sand unter unseren Füßen spürend, schleppten wir uns, noch nie dem Verdursten näher, in unsere Zelte und benetzten vorsichtig unsere Lippen mit dem kostbaren Nass, wohlwissend, dass unsere ausgedörrten Körper nur ganz langsam wieder an Wasser gewöhnt werden durften. Nur knapp waren wir den Verführungen der Schattenreiter, den Dämonen der Wüste, den Dünentrollen entkommen. Wir hofften, dass uns solch Glück auch die nächsten Tage zu Teil werden würde, allein sicher waren wir uns nicht.

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