Der Wettkampf zwischen Nordatlantik und Ententeich um die glattere Oberfläche geht in die nächste Runde, der Ozean liegt wieder in Führung.

Da das Wetter die nächsten Tage außerordentlich schön zu werden verspricht – und das schreibe ich hier, obwohl wir nun wirklich die letzten Wochen verwöhnt worden sind – nehmen wir uns für diese Zeit noch eine Hochlandtour vor. Da die Infrastruktur dort naturgegeben besonders spärlich sein wird, wir sprechen hier von weniger als zwei Menschen auf einem Quadratkilometer, widmen wir der Zu- und Abführung verschiedener Flüssigkeiten unseres Fahrzeugs heute besondere Aufmerksamkeit und schaffen es erstmalig, den Frischwassertank zu 100% zu befüllen. Bei der Anmietung wurden wir noch darauf hingewiesen, dass der Füllstandsanzeiger für den Frischwassertank wohl einen Defekt habe, da er immer nur 25% anzeigen würde. Ziemlich schnell erkannten wir aber, dass es nicht an der Anzeige lag, sondern daran, dass viel Luft im Wassertank war, welches eine vollständige Befüllung verhinderte. Durch die vielen Rüttelpisten bis hierher hatten wir aber wohl den Tank mehrfach richtig „durchgerührt“, so dass die Luft heute morgen mit einem satten Pfeifen nahezu komplett den Tank verlässt und wir das freiwerdende Volumen tatsächlich mit Wasser auffüllen können. Wir haben jetzt 120 Liter Frischwasser an Bord, das dürfte für die nächsten Tage reichen. Im Nachhinein können wir froh sein, dass der Tank bisher nie so voll war: 120 Liter Wasser sind schließlich auch 120 kg Masse und das merke ich deutlich beim Fahren. Der Verbrauch steigt um mehr als einen Liter auf 100 Kilometer und unser mobiles Heim quält sich deutlich angestrengter die eine oder andere steile Passage herauf.

Vorerst führt uns unser Weg aber noch auf guter Straße zurück nach Húsavík, um dort die letzte Post (ja, so richtige Post, bestehend aus Karte und Marke) auf den Weg zu bringen. Weiter geht es zum Mývatn, den Goðafoss sparen wir, obwohl fast auf dem Weg, tatsächlich aus. Auf diesen „Verzicht“ bin ich fast ein bisschen stolz 😉 Auch „unser“ Kuhcafé am See ignorieren wir heute mal, durchqueren die Einödnis der Ódáðahraun, überqueren die Jökulsá á Föllum  aufmerksame Leser*innen wissen: Das ist der Fluss, der den Dettifoss speist – und biegen unweit danach von der Ringstraße ins Landesinnere auf die 901 ab. Die Sicht ist so gut, dass wir die pittoreske Herðubreið, die „Bischofsmütze“, eine Zeit lang immer vor oder neben uns sehen und dahinter der Vatnajöküll in der Sonne leuchtet.

Beim Abzweig der F905, einer der berüchtigten Pisten zur Caldera der Askja – dem Sehnsuchtsziel vieler Outdoor-Expeditionen in Island, befindet sich ein bekanntes „Versorgungszentrum“ der „Expeditionen“. Also eigentlich ist es nur eine Hütte mit einem Café und angeschlossenem Campground. Da die grasbedeckten Dächer bis zum Boden reichen, wird die Hütte ab und zu von Schafen und Ziegen bevölkert, die dann im Fenster stehen. Heute haben wir dieses Vergnügen leider nicht. Im Angebot ist heute „Isländische Moossuppe“, die ich, experimentierfreudig wie ich bin, gleich mal probieren muss. Hätte ich es mal besser gelassen: Das Moos ist ja ganz in Ordnung, schwimmt allerdings in süßer Milch – eine Herausforderung für mich. Ich gebe auf, den Boden der Schüssel werde ich nicht sehen.

Als wir wieder losfahren wollen, streikt die automatische Parkbremse. Ach wie toll sind doch die vielen elektronischen Helferlein im Wagen, vor allem, wenn diese nicht funktionieren. Ein bisschen Recherche im Handbuch, im Internet und der persönlichen Inspektion an der Hinterachse fördert das Problem zu Tage: Der Stellmotor am linken Hinterrad ist blockiert und weil die tolle Steuerung natürlich nicht auf diesen Sonderfall vorbereitet ist, stellt der rechte Motor auch gleich die Arbeit ein. Eva beginnt schon mal ein Horrorszenario zu entwerfen, wie wir deswegen unsere Fähre verpassen werden… Ich sehe das etwas relaxter. Ein Tipp im Internet erwähnt, es läge manchmal auch an zu geringem Stromfluss aus der Starterbatterie. Also trennen wir erstmal alle Verbraucher von unserer Bord-Batterie (diese ist eigentlich von der Starterbatterie getrennt) und ich hole mein kleines „Wundergerät“  heraus, einen Lithium-Polymer-Akku. Ich als Ingenieur weiß, dass so ein LiPo eine unendliche Stromquelle ist (leider nicht unendlich lang, aber unendlich stark) und hoffe damit der Starterbatterie etwas unter die Arme greifen zu können. Eigentlich habe ich so etwas mit, um im Fall der Fälle wirklich das Fahrzeug starten zu können. Wir selber haben es bisher nicht gebraucht, konnten aber Anderen damit schon den morgendlichen Start mit leerer Batterie ermöglichen. (Was mich immer ein wenig stolz macht, wenn ich mit meinem winzigem LiPo ankomme und damit große Fahrzeuge starte.) Was soll ich schreiben: Die Strategie funktioniert, mit dem LiPo an der Starterbatterie überwindet der Stellmotor sein Problem und wir können wieder los. Die nächsten Tage muckern diverse Kontrollleuchten der Parkbremse immer mal wieder, aber es funktioniert alles. Bis nach Hause werden wir kommen.

So steht dem ersten großen Zwischenziel für heute nichts mehr im Wege: Der Stuðlagil Canyon, eine Schlucht, die zwar geologisch nicht neu, aber touristisch eine „Neuentdeckung“ ist. Für tausende, wenn nicht sogar Millionen von Jahren, wurde diese von ihrer „Erbauerin“, der Jökulsá á Brú verborgen. Als jedoch im Jahr 2007 die große Staumauer des Kárahnjúkar-Kraftwerks (mit 198 Meter Höhe und 700 Meter Breite eine der Größten in Europa) fertig war und seitdem das Wasser reguliert wird, kam die Schlucht langsam zum Vorschein und offenbarte ihre bizarren Formationen aus Basalt.

Basalt ist eigentlich schwarz, wie auch anschaulich gleich bei uns zu Hause um die Ecke in Stolpen zu sehen. (Dort wurde übrigens auch die Begrifflichkeit „Basalt“ für diese Art Gestein geprägt). Hier aber, in der Stuðlagil scheint er teilweise rötlich. Dies liegt an den kleinen Seitenzuflüssen in die Schlucht, die viel Eisen aus den Tephraschichten zurückliegender vulkanischer Aktivitäten transportieren. Der Basalt hat hier also stellenweise eine „Eisenbeschichtung“ (korrekt Eisen(III)-oxid und Eisen(II,III)-oxid; dies nur zur Sicherheit, falls hier ein Metallurge oder Chemiker mitliest 😉  )

Der Canyon ist inzwischen touristenfreundlich linksseitig von Süden über eine Aussichtsplattform einsehbar oder von Norden auf der anderen Seite der Schlucht über einen etwa 10 km langen Pfad begehbar. Den ersten Teil dieses Pfades kann man auch fahren, wenn das Fahrzeug eine gewisse Bodenfreiheit hat und die Reifen resistent gegen die vielen spitzen Steine hier sind. Beides ist bei uns gegeben. So halbiert sich für uns die Wanderstrecke. Mir wäre das zwar hinreichend egal, ich bin ja in solchen Situationen sowieso immer etwas stärker davon angetrieben, vielleicht ein schönes Bild machen zu können, aber für Eva ist es so zumindest etwas leichter. Die letzten Meter Abstieg bis hinunter zum Wasser spart sich Eva dann besser, das mache ich alleine – und verbringe viel zu viel Zeit da unten mit Fotografieren.

Als ich nach langer – für Eva zu langer Zeit – dann wieder emporgekraxelt komme, sehe ich meinen Rucksack schon davonlaufen. Evas Sitzfleisch war dann doch überstrapaziert und sie macht sich auf den „Heimweg“. Ganz so begeistert ist sie natürlich nicht ob meines Ausflugs. Asche auf mein Haupt, manchmal übertreibe ich es! Wieder am „Highlander“ schaut sie auf ihren GPS-Tracker und meint: „… aber 4 km in der Stunde ist doch gar nicht sooo langsam, wie ich mich immer fühle, wenn du mich förmlich stehen lässt…“ 

Jetzt wartet als Nächstes eine große ausgedehnte Runde über die (F)910 auf uns. Ich hatte diese Tour ja eigentlich abgeschrieben, weil Eva nicht so auf furten steht, aber vor knapp 3 Wochen berichteten uns Heike und Andreas aus erster Hand, dass die Piste furtfrei sei. Als wir in die entsprechende Passage kommen, sehen wir es schon vom Hang aus: Reißendes Wasser, kilometerlang! Die Piste führt aber nur daran vorbei. Nur einmal müssen wir durch einen Zufluss, keine 40cm hoch und still wie eine Pfütze – das zählt nicht als Furt!

(Im Nachhinein werden wir lesen, dass wegen des warmen Wetters mehr Wasser als üblich aus dem Vatnajökull abfließt und deshalb auch der Stausee des Kraftwerks etwas abgelassen wird. Die Stuðlagil wird schon morgen nicht mehr zugänglich sein und an den heute noch harmlosen Pisten werden die nächsten Tage Fahrzeuge scheitern, die unseres leicht im Stauraum mitnehmen könnten.)

Wir erreichen die Krone der Staumauer ohne Probleme, ab hier haben wir wieder Asphalt unter den Rädern. Eva kann den „Mondlandschaften“ hier oben meist nicht so viel abgewinnen wie ich, aber jetzt verwandelt sich der karge schwarze Boden wieder in sattes Grün. Auf diesen Flächen grasen im Sommer viele Rentiere, wir sehen heute aber keines.

Wir umrunden das Snaefell, mit 1833 Metern der höchste freistehende Berg in Island, und fahren noch bis zur Laugarfell-Hütte. Dort wollen wir die nächsten zwei Nächte verweilen und morgen hier oben noch ein bisschen wandern und nebenbei Wasserfälle zählen. Als wir aussteigen, ist es zwar nicht kalt für das Hochland, aber sehr, sehr windig. Das ist der Fön, der die warme Luft von den Azoren bringt. Wir schauen uns kurz an und sind uns ohne Worte einig: Nö!
Also beschließen wir, heute Abend das Hochland zu verlassen und unten am See Lögurinn zu übernachten und gegebenfalls morgen wieder hier hoch zu kommen. So finden wir 500 Meter tiefer einen schönen Zeltplatz, den wir fast für uns allein haben. Sogar eine Feuerstelle haben wir und können unser mitgeführtes und derweil vibrationsgetrocknetes 😉 Holz in Kohlendioxid umwandeln. Inzwischen ist es dunkel, aber immer noch warm. Nebenbei koche ich noch etwas zusammen, was man etwas hochtrabend „Pasta Gemelli con pomodori e alici“ nennen könnte.

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