Dieser Termin stand fest in unserem Urlaubsplan. Nur den Zeitpunkt wussten wir noch nicht, sind wir doch inzwischen, was Walbeobachtungen betrifft, wählerisch geworden.

Nachdem wir uns bei den letzten Konsultationen von yr.no ziemlich sicher sein konnten, wie das Wetter in Andenes an der Nordspitze Andøyas sein würde, brauchten wir nur noch bei hvalsafari.no eine Buchung. Unsere ersten Versuche im Internet zeigten für die nächsten Tage aber keine freien Plätze mehr. Trotzdem hatte ich gestern früh noch einmal geschaut: Und siehe da, für heute 17.00 Uhr waren noch Plätze zu bekommen. Diese hatten wir dann sogleich gebucht, also zumindest zwei davon. Inzwischen verstehen wir auch das System: Jeden Tag gibt es, so es das Wetter zulässt, zwei Touren – 11.00 und 16.00 Uhr. Wenn diese beiden Touren ausgebucht sind, wird bei entsprechend schönem Wetter ein zweites Schiff eingesetzt und damit gibt es dann zwei weitere Touren 12.00 und 17.00 Uhr. Letzte sollte unsere Tour heute sein. Pünktlich knapp zwei Stunden vorher soll man vor Ort sein, da vor dem Besteigen des Schiffes noch eine Besichtigung des örtlichen Walmuseums ansteht. Wir waren pünktlich und hatten somit unseren Teil der Vereinbarung erfüllt, jetzt war der Veranstalter dran.

Diesen kennen wir schon, sind wir hier doch nach 2002 und 2013 Wiederholungstäter. Den Anbieter selbst gibt es jetzt seit 30 Jahren und immer wirbt er mit 100% Walgarantie, oder es gibt eine neuerliche Ausfahrt oder das Geld zurück. Dieses Versprechen kann sehr leicht gegeben werden, da die Pottwal-Bullen, welche hier im Fokus stehen (den Kühen mit ihren Kälbern ist es zu kalt), doch sehr standorttreu sind, weil die Tiefsee sehr nahe an die Küste reicht und durch den steilen Abfall am Kontinentalshelf eine eigene Meeresströmung entsteht, welches sehr nährstoffreiches Wasser nach oben befördert. Davon ernähren sich viele der Beutetiere der Pottwale. Da so ein Pottwal nahezu senkrecht nach unten taucht, kann man fast an der Stelle, wo er abtaucht, warten, bis er wieder auftaucht, auch wenn das über zwei Stunden dauern kann. Im Normalfall dauert es so lange aber nicht, sondern meist um die 20 Minuten.

Unsere erste Ausfahrt machten wir hier 2002. Damals waren wir einfach unverbindlich von den Lofoten hoch nach Andenes gefahren und hatten geschaut, ob wir zwei Tickets bekämen. Wir hatten Glück und fuhren damals mit der letzten Ausfahrt des Tages etwa 17 Kilometer aufs Meer hinaus und beobachteten im spiegelglatten Nordatlantik Pottwale unter der tief stehenden Sonne. Wir können uns erinnern, das eines der Exemplare längsseits des Schiffes auftauchte und minutenlang dort verweilte und Luft tankte. Wir konnten ihm dabei direkt in das Auge sehen. Er hatte natürlich zwei davon, das anderes war aber schiffsabgewandt. Irgendwann rief dann eine oder einer der Guides

Diving!

und plötzlich stand die Fluke direkt vor der Sonnenscheibe. Die Aufnahmen damals waren noch analog und aus heutiger Sicht schlecht, das Erlebnis aber für uns beide unvergesslich. Es waren unsere ersten Wale, die wir mit eigenen Augen sahen und vielleicht bis heute die schönsten Begegnungen mit diesen Riesen der Meere – und wir können von einigen Begegnungen berichten, auch wenn ich bis heute noch auf einen springenden Buckelwal warte 😉

Elf Jahre später waren wir wieder hier, da schon etwas zielgerichteter, weil wir eine Woche nicht weit weg von Andenes wohnten und uns damit das beste Wetter aussuchten konnten. Auch da war es schön, wenn auch nicht so schön wie elf Jahre zuvor. Auch da hinterließ der Veranstalter bei uns ein gutes Gefühl, weil Tourismus mit Forschung verbunden wurde und wir Touristen im Grunde genommen die Ausfahrten der Wissenschaftler finanzierten und diese dafür uns an ihrem Wissen teilhaben ließen.

2023 ist davon nicht mehr viel übrig. Ja, es gibt nach wie vor für unterschiedliche Sprachen Guides, heute wurde auf dem Schiff beispielsweise Norwegisch, Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch gesprochen. Die Guides sind aber wohl nur noch „Tourismusbeauftragte“, ein tieferes Faible für die Tiere ließen sie zumindest heute vermissen. Vielleicht hatten sie selbst auch zu viel von dem Medikament gehen Seekrankheit genommen, eine Schlaftablette wäre im Vergleich dazu bei einigen jedenfalls ein Ausbund an Temperament gewesen. Im Vordergrund steht nur noch die Erfüllung der 100%-Sichtungsgarantie. So fuhr der Kahn, sobald er den Hafen von Andenes verlassen hatte, die Westküste der Insel entlang, weil dort Orcas gesichtet worden waren. In großer Entfernung konnten wir auch zweimal eine Finne der Schwertwale sehen, aber sehr ufernah, wo das Schiff aufgrund des Tiefganges nicht hinkam. Außerdem gibt es inzwischen hier einen weiteren Touranbieter, welcher mit Zodiacs unterwegs ist und diese machten eher Jagd auf die Orcas, wohl vergessend, dass diese Tiere ähnlich intelligent wie wir Menschen sind – im vorliegenden Fall sogar intelligenter: Den schnellen Tieren fiel es leicht, sich den Booten zu entziehen. Das ist ihr gutes Recht! Ich möchte an dieser Stelle vermerken, dass unser gewählter Veranstalter an dieser Hatz nicht teilnahm, aber dadurch natürlich leidtragender war – die Tiere waren jedenfalls weg. Für eine Fahrt hinaus auf den Bleik-Canyon war es jetzt zu spät, also ging es wieder zurück, wir hatten uns damit abgefunden. Wenigstens das Wetter war schön, die See war ruhig und die Aussicht auf das Archipel hervorragend.

Ich habe das Fotografieren heute gar nicht erst angefangen (obwohl ich alles an Bord hatte) und betrachtete andere (ausnahmslos Männer) dabei, wie diese mit ihren großen, langen Tüten an den Kameras versuchten, die meist nur im Profil zu sehenden Schwertfinnen der Orcas abzulichten. Zu Eva sagte ich irgendwann, dass man für Orcas kein Tele- sondern ein Weitwinkelobjektiv braucht 😉 Das ist für mich leicht zu sagen, wir hatten in Alaska schon solche Begegnungen und ja, mir ist es immer bewusst, das ist kein normaler Umstand.

Zurück am Hafen fuhren wir jetzt aber nicht zum Kai, sondern durchquerten den Hafen nur, um diesen am anderen Ende wieder zu verlassen und nochmal in den Fjord auf der anderen Seite der Insel zu fahren. Offensichtlich war man sich nicht sicher, ob alle Gäste diese entfernten Orcas als Sichtungen akzeptieren würden. Nach einer weiteren 30minütigen Fahrt wurde noch ein Minkwal gesichtet und dieser eine Weile begleitet. Minkwale (auch Zwergwale genannt) werden in Norwegen nach wie vor bejagt, das Fleisch der Tiere kann hier oben in fast jedem Supermarkt gekauft werden. Und weil die Tiere das natürlich wissen, halten sie sich von Booten und Schiffen fern. Weiterhin kommen diese Bartenwale, die immerhin auch bis zu 10 Meter groß werden können, immer nur ganz kurz für einen Atemzug an die Oberfläche. Man sieht also nur für einen winzigen Moment ein Blasloch und den Rücken und dann ist er wieder für Minuten weg. Na ja, von den meisten Gästen gab es „Ahs“ und „Ohs“, für uns war das sinnloser Verbrauch von Treibstoff. Zusammenfassend lässt sich schreiben: Der Zauber der früheren Jahre der Walbeobachtung hier ist vorbei, von der Symbiose aus Tourismus und Forschung ist nichts mehr da, zumindest nicht mehr so, dass wir es spüren könnten. Es ist nur noch ein kommerzielles Tourismus-Event, die 100%-Sichtungsgarantie wurde erfüllt. Und nur um es nochmals zu schreiben: Wir könnten gut damit umgehen, keinen Wal gesehen zu haben, weil keiner da war, oder keines dieser imposanten Tiere Lust auf uns und die anderen Gäste hatte, aber so, wie wir es heute erlebt haben, macht es keinen Sinn mehr. Wieviel schöner war da doch unsere letzte Tour in den isländischen Westfjorden mit Judith Scott. Als Erkenntnis bleibt für uns: Je kommerzieller der Anbieter, desto geringer das Erlebnis. Das Walversprechen wurde zumindest für uns heute nicht eingelöst.

Ein Event hatten wir danach aber doch noch: Am Campground wartete ein Hot-Pot nur auf uns. So war der Tag dann doch zu einem schönen Abschluss gebracht, im warmen Wasser mit Sicht über den Atlantik.

Und fern am Horizont, so können wir uns einbilden, sehen wir die Fluke eines Pottwals vor der tief stehenden Sonne. Nur kurz wird uns die Sicht darauf von der Gischt genommen, als ein Buckelwal wieder ins Wasser taucht.

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