Achtung: Der folgende Beitrag kann Spuren von Ironie und Satire enthalten, sowie Antiphrasen und Paradoxa.

Vielleicht hätte ich gleich zu Beginn stutzig werden sollen: Pünktlich 30 Minuten vor Beginn im Hafen eingetroffen, wollte ich meinen Voucher aus meinem Wallet auf dem Smartphone vorzeigen und stolz den dort enthaltenen QR-Code scannen lassen. Diesen Voucher hatte ich nun seit mehr als einem halben Jahr wie meinen Augapfel gehütet. Doch niemand wollte ihn sehen, mein bloßer Name reichte als Beweis meiner Identität. Ich bekam mein Ticket und einen Verzehrgutschein, nebst einer Postkarte. Wer braucht denn so etwas noch? Sehr altertümlich das Ganze, eigentlich wenig vertrauenserweckend.

Ich mischte mich also unter die anderen, ebenso wie ich abgefertigten Tourgäste, schaute über das Geländer in den Hafen und war gleich zweimal bedient. Erstens störte dieses schwarze Federvieh mit dem weißen Kopf, den gelben Füßen und dem gleichfarbigen Schnabel immer wieder die Aussicht und zweitens war kein Wasser da! Da fehlten fast 6 Meter. Da hatte der Tourbetreiber wohl vergessen, rechtzeitig aufzufüllen. Entsprechend steil war die Rampe hinunter. Die Plage mit den Vögeln endete auch nicht. Schon gestern Nachmittag war mir das in Prince Rupert aufgefallen. Die bekommen das hier einfach nicht in den Griff. Selbst Venedig hat inzwischen seine Tauben unter Kontrolle. Hier aber? Nichts! Kein Wunder, wenn das ganze Wasser voller Fische ist. Da würde ein bisschen Nachdenken schon weiterhelfen.

Endlich im Boot, ein richtiges war es gar nicht, es hatte nicht mal ein richtigen Rumpf, sondern nur so zwei schmale Kiele, was sie dann Katamaran nannten. Ich suchte mir einen Platz in der oberen Etage, in der dritten und letzten Reihe am Fenster und stellte fest, dass ich die Beine kaum bis runter bekam. Die hatten die Sitzreihen aufsteigend wie in einem Kinosaal angeordnet. Dadurch war die Sicht nach vorn natürlich gut, aber was sollte es hier schon zu sehen geben? Man hätte statt der großen Leinwände vorn, links, rechts, hinten, oben und unten auch einfach in jede Rückenlehne ein Display einbauen können, wie in jedem Flugzeug. Aber davon hatte man hier am Anus Mundi bestimmt noch nie etwas gehört – altertümlich, ich schrieb es oben schon.

Der Kapitän und Eigner des Katamarans stellte sich vor, schlug irgendwie gleich einen vertraulichen Ton an, fragte kurz, woher die Menschen kamen, und obwohl Mexico, Austria, Switzerland und von mir Germany genannt wurden, blieb die Bordsprache Englisch, weder Französisch, Spanisch oder wenigstens Deutsch wurde angeboten. Es ging los und als Erstes gab es eine kleine Theatervorstellung mit orangenen Westen und Trillerpreifen. So ganz verstand ich den Inhalt aber nicht. Irgendwie sollte ich mit so einer orangefarbenen Weste ins Wasser springen. Ich mache mich doch nicht zum Obst, außerdem wäre mir das viel zu kalt.

Dann wurde etwas vom „Tagesziel“ erzählt. Es sollte irgendwann während dieser Ganztagesveranstaltung einen Marshmallow und Dark Chocolate geben. Okay, dachte ich mir. Nur einen Marshmallow? War mir egal, ich mag die Dinger sowieso nicht. Aber wenigstens dunkle Schokolade war dabei. Aber dafür der ganze Aufwand? Dafür musste ich bis an ein weiteres gefühltes Ende der Welt? Dafür war ich jetzt drei Tage am Stück gefahren, war vorher 10 Stunden geflogen? Dass muss ganz außergewöhnliche Schokolade sein, wenn sich das irgendwie rentieren soll. Aber ich bin ja immer für Neues offen.

So ganz schien der Kaptain sein Revier aber nicht zu kennen. Er steuerte ziemlich orientierungslos zwischen den Inseln kreuz und quer durch die Kanäle und hing mit einem Auge immer auf seinem Echolot. Was passiert, wenn man nicht ganz konzentriert nach vorn schaut? Richtig! Man verfährt sich, ging dem Kaptain auch so. Um ein Haar wären wir in Alaska gewesen. Sein Scherz, mit dem er von seinem Fauxpas ablenken wollte, war, alle Gäste darauf aufmerksam zu machen, doch besser das Handy in den Flugmodus zu versetzen, damit es nicht aus Versehen hohe Kosten verursacht. Hätte ich das mal NICHT gemacht. Da hätte ich die nächsten Stunden ein bisschen im Internet surfen können. Aber bestimmt war auch das nur eine Finte um zu überdecken, dass es hier sowieso keinen Empfang gab.

Wir verließen die offene See und fuhren in ein Inlet ein. Ganz verstand ich das erst nicht, aber bestimmt lag es daran, dass es keine Wellen gab und damit natürlich ein Erlebnis mit Wellenreiten sowieso nicht in Aussicht stand. Stattdessen wurde ringsherum mit einer 3D-Show begonnen. Davon stand gar nichts in der Ausschreibung der Tour, aber gut, gebe ich dem Veranstalter mal ein Chance. Zugegeben, das war nicht schlecht gemacht. Anschlussstellen und Versatzstücke habe ich zwischen den Leinwänden nicht ausmachen können, aber ich bin vom Fach und habe dann recht schnell die Schwächen in der Projektion gefunden. Was kann man doch heute mit KI für tolle immersive Realitäten erzeugen, hier war es aber nur der prozedurale Einheitsbrei, den ich schon tausendmal in Computerspielen gesehen hatte. Es wurden hauptsächlich Bäume erzeugt, die direkt vom Ufer bis hoch in die Berge generiert wurden. Bäume, soweit das Auge reicht. Zwischen jeweils zwei Bäumen, stand noch ein Baum, dazwischen dann immer noch einer. Das hätte man besser aufbauen können, vielleicht in ordentlichen Reihen und Spalten, damit man tiefer in die surreale künstliche Landschaft hätte blicken können. Auflockerung fehlte auch, mal ein Schloss oder eine Burg auf einem Gipfel oder wenigstens ein Schornstein hätte den Anblick aufgelockert. So aber blieb es Wald, nichts als Wald, kaum zu sehen hinter den vielen Bäumen. Albern war auch, wie das Gesehene nach unten hin fortgesetzt wurde. Es wurde einfach die generierte Landschaft nach unten gespiegelt. Oben und unten war genau das Gleiche zu sehen. Na das, so dachte ich mir, kann ich auch, das ist ja nun wirklich ein Kinderspiel. Nur an einer Stelle konnte ich sehen, dass versucht wurde, etwas Ordnung in das generierte Chaos zu bringen. Unten waren die Bäume alle ganz korrekt begradigt. Gelungen war das aber nicht, vereinfachte aber wohl die Spiegelung der Projektion nach unten.

Nach gefühlten endlosen Minuten, eher mehreren Viertelstunden endete die 3D-Show und es schien jetzt ein Landungsplatz gesucht zu werden, wo bestimmt die Marshmallows am Feuer gegrillt werden sollten. Wie geschrieben, ich mag die Teile nicht, in keiner Form. Aber vielleicht könnte ich mir wenigstens mal die Beine vertreten. Der erste Landungsversuch scheiterte. Plötzlich waren Bären zu sehen, da wollte natürlich niemand von Bord. Ein Weile wurde gewartet, ob sich die Bären wohl verziehen würden, taten sie aber nicht. Es war eine Bärin mit ihrem Jungen. Die Bärin hatte ein ganz helles Fell, das Junge war fast schwarz. Scherzhaft meinte ein Mitpassagier, die beiden würden aussehen, wie ein Marshmallow mit dunkler Schokolade – irgendwie ein flacher Scherz.

Der Landungsversuch wurde abgebrochen und weitere weiter hinten im Inlet unternommen, Das Ergebnis war aber immer das Gleiche, kaum dem Ufer genähert, tauchten wieder Bären auf. Wenn man schon so ein Grillevent in der Wildnis anbietet, dann muss man das besser vorbereiten. Man hätte das Gelände einzäunen können oder wenigstens die Tiere an den vielen Bäumen anbinden. So aber war klar, was immer wieder passieren musste. Bei dem wenigen Wasser waren die Uferbereiche freigelegt und was machen die Allesfresser dann? Sie decken ihren Eiweißbedarf an den dann zugänglichen Muschelbänken. Offensichtlich werden die Tiere hier nicht artgerecht gefüttert und müssen sich selbst kümmern.

Irgendwann war das Boot am Ende des Inlets angekommen. Ich weiß nicht genau, wie weit das war, schätzte aber die Länge des Meeresarms auf mehr als 50 Kilometer. Das hatte ich in Norwegen schon schöner gesehen, auch weil dort nicht so viele Bäume die Sicht versperren und keine so großen Tiere herumlungern. Jedenfalls gab der Kaptain am Ende des Inlets seine Landungsversuche auf, wendete und fuhr die lange Strecke zurück. Ich erblickte in einem Seitenarm noch eine schwimmende Hütte. Davon hatte ich vor mehr als einem halben Jahr schon gelesen, aber die Idee sofort verworfen, dort zu nächtigen. Der seltsam niedrige Preis machte mich misstrauisch. Was sollte ich da schon erwarten können? Ich bin froh, dies damals sofort geahnt zu haben. Man kann kaum aus der Hütte vor die Tür treten, weil überall Bären herumlungern als wären es streunende Hunde.

Das Inlet hatten wir dann verlassen und wieder irrte der Kaptain ziellos zwischen den vielen Inseln herum. Ich muss ihn dabei etwas in Schutz nehmen, da offenbar die örtliche Verwaltung wenig tut, die Infrastruktur verbessern zu wollen. Die Kanäle zwischen den Inseln sind nicht begradigt, so dass die wenig gepflegt wirkende Vegetation bis ins Wasser reicht und dort teilweise die Passage stört. Hatte es das Boot dann mal durch einen der vielen Kanäle hindurch geschafft, links und rechts war immer wieder dieses kreischende weißköpfige Federvieh in den Bäumen zu sehen und zu hören, wurde die Weiterfahrt durch große schwimmende Säugetiere versperrt, die irgendwie an zu groß geratene Fische erinnerten. In eher hilflos wirkenden Aktionen versuchte die Besatzung aus der Not eine Tugend zu machen und erzählte die ein oder andere seltsame Story über die Tiere, wie sie gemeinsam jagen würden, indem sie Blasen bildeten und damit ihr Futter einkreisen würden. Eineinhalb Tonnen kleine Garnelen, sie nennen es Krill, würde jeder dieser Säuger pro Tag fressen, nur hier an der pazifischen Nordwestküste würden sie diese Strategie mit den Luftblasen anwenden, wurde erzählt. Ob das so gut für die Natur ist, wie es einem hier weißgemacht wird? Naja, wer es glauben mag…

Für mich jedenfalls wirkte diese Sache wieder ziemlich unkoordiniert. Ständig liefen die anderen Tourteilnehmer kreuz und quer über das Boot, um auf eine der Aussichtsplattformen zu kommen. Von oben sah man diese großen Fischwesen am besten, das sagten sie zumindest, von hinten diese kreischenden Vögel. Das hätte man auch etwas ordnen können, sodass auch ich von meinem Sitzplatz aus hätte etwas sehen können. Aber eigentlich war mir das inzwischen auch egal. Aus dem versprochenen Marshmallow und der dunklen Schokolade wurden gefüllte Wraps, zwischen denen ich mich auch noch entscheiden sollte. Mein amerikanischer Nachbar in der nächsten Stuhlreihe machte es wohl richtig, in dem er das deplatziert wirkende Gemüse aus dem Wrap entfernte, nur die Fleischstücken verzehrte und den Rest wegwarf. Seine Körperstatur und die seiner Söhne zeigte mir, dass er darin Erfahrung hatte. Sein Defizit an Kalorien deckte er mit Käsesoße und Tortillachips, seine Kinder wirkten damit zufrieden, das freute mich.

Verspätung hatten wir am Ende auch noch. Durch das Umherirren in den zahllosen Wasserstraßen wurde die Ankunftszeit nicht eingehalten, vielleicht hatte man sich auch mit den vielen unnötigen Stopps bei den Tieren verzettelt. Offenbar hatte man aber im Laufe des Tages den Fauxpas vom Anfang versucht zu kompensieren und hatte Wasser nachgegossen. Das Becken war jetzt deutlich voller als am Anfang. Aber das riss es jetzt auch nicht mehr raus.

Am Ende kann ich konstatieren, dass ich nicht glaube, dass dieses Konzept mit den Marshmallows und der dunklen Schokolade längerfristig aufgehen wird. Zu ungeplant, ja konfus, agiert die Besatzung. Unterwegs machten sie noch Fotos mit großem Equipment von den zufällig gesichteten Tieren. Jeder konnte diese Fotos kostenlos bekommen, wohl als Wiedergutmachung für die entgangenen Leckereien. Ich merkte mal wieder, wie einfach doch Menschen besänftigt werden können. Alle machten den Eindruck, damit zufrieden zu sein, was sie bekamen und hatten offenbar das eigentliche Ziel des Ausflugs längst vergessen. Mir passiert das nicht, da bin ich dann wohl zu anspruchsvoll. Es war schlussendlich derselbe Einheitsbrei, wie ich ihn schon in Alaska in den Kenai Fjords erleben musste oder auf Vancouver Island oder auch in der Bay of Fundy Das nächste Mal gehe ich wieder in den Zoo.

Richtigstellung

Es hat hoffentlich jede:r Leser:in bemerkt, dass ich mir Mühe gegeben habe, wirklich jede Aussage genau anders herum wiederzugeben, wie sie gemeint ist. Normalweise findet man auf jedem Ausflug mindestens einen Idioten, wo man sich dann fragt: „Warum ist er hier? Was bringt ihm das?“ Heute aber war nicht einmal das der Fall, deshalb habe ich die Rolle des Idioten mal übernommen. Die Stimmung, die Ruhe auf dem Boot war sensationell. Man hätte Stecknadeln fallen hören, so leise war es, wenn wir uns den Tieren näherten. Es war immer genügend Zeit, dass alle die beste Position für die Sichtungen bekamen. Man ließ sich den Vortritt, hatte man selbst mal den Blick nicht in die richtige Richtung gelenkt, oder war das Objekt des Interesses zu weit weg, bekam man unter Umständen vom Nachbarn das Fernglas gereicht oder der Guide machte ein Foto mit seiner Riesentüte und zeigte das Ergebnis sogleich auf der Kamera.
Ich war gespannt auf die Bildergebnisse, die wir am Ende bekamen, war das verwendete Equipment doch um einiges besser geeignet als jenes, was mir zur Verfügung steht. Am Ende bin ich aber ein bisschen stolz, dass ich hier im Beitrag nur meine Bilder verwendet habe, weil sie doch noch ein Stückchen besser sind. (Eigenlob aus)

Jens

Er fotografiert und manchmal schreibt er auch.

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